Einladung zum Wundern

In Hamburg gibt es eine große iranische Community. Deren Kultur ist in der Stadt
aber kaum sichtbar. Das möchte das Festival „Wundern über Tanawo‘“ jetzt ändern

Rituelle Reinigung von alten Denkstrukturen: Im Stück „Sal Saniye“ verändern die Frauen die Gesellschaft Foto: Alborz Teymoorzadeh/ ZH Magazine

Von Hanna Klimpe

In Hamburg lebt eine der größten iranischen Communitys in Europa, mehr als 20.000 Hamburger*innen haben eine iranischen Migrationshintergrund. Iranische Kunst aber, finden Raphaela Rößler und Sören Faika, ist in der Stadt bislang gar nicht ausreichend vertreten. Vor zwei Jahren haben die beiden Iranist*innen deshalb den Verein „Wundern über Tanawo“ gegründet. „Wir wollen den deutschen und den iranischen Sprachraum mitein­ander verbinden“, sagt Faika, der eine Beratungsfirma für deutsch-iranische Geschäfts- und Kulturbeziehungen leitet.

„‚Tanawo‘ bedeutet auf persisch ‚Vielfalt‘. ‚Wundern über Tanawo‘ ist ein Titel, der sowohl deutschsprachige als auch persischsprachige Personen anspricht und beide Gruppen zum Wundern anregt. Dieser gemeinsame Moment des Wunderns soll eine Brücke für mehr Austausch sein.“ Konzerte, Lesungen und Performances hat der Verein bereits organisiert. „Wir wollten von Anfang an aber auch ein größeres Festival organisieren“, sagt Rößler.

Ziel von „Wundern über Tanawo‘“, das seit Donnerstag unter anderem auf Kampnagel, in der Elbphilharmonie und der Affenfaust-Galerie erstmals Konzerte, Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Filme und Theater zeigt, ist dabei nicht nur, Veranstaltungen für die iranische Community zu machen und iranische Kunst Hamburger Kulturinteressierten näherzubringen, sondern auch, deutsche und iranische Künstler und Institutionen zu vernetzen.

Frauen und Gender, die Wechselwirkung von Gesellschaft und Identität und Exil sind die drei großen Themenstränge, an denen sich das Festival orientiert. „Dabei ging es uns nicht nur darum, Themen zu finden, die oft spezifisch mit dem Iran in Verbindung gebracht werden, sondern global von aktueller gesellschaftspolitischer Bedeutung sind“, sagt Rößler.

Dass die Anti-Kopftuch-Proteste im Iran gerade in den Medien sind, ist für die Festivalveranstalter dabei ein zweischneidiges Schwert: Einerseits steigerten solche politischen Ereignisse natürlich die Aufmerksamkeit, andererseits laufe man dabei aber Gefahr, dass die Erwartungshaltung beim Thema „Frauen und Gender im Iran“ sich auf Kopftuchdebatten beschränkt.

Dass es komplexer ist, zeigt diesen Samstag und Sonntag auf Kampnagel die Performance des im Iran lebenden Regisseurs Hamid Pourazar, der derzeit als eine der Schlüsselfiguren des neuen iranischen Theaters gilt. Sein 2013 an einem geheimen Ort gemeinsam mit der Gruppe Pāpatīhā („die Barfüßigen“) entwickeltes Stück „Sal Saniye/Sekunde wie Jahre“ geht davon aus, dass gesellschaftliche Veränderungen nur von Frauen ausgehen können. Performativ wiederholen und analysieren die zehn Schauspielerinnen Denkstrukturen, reinigen und lösen sich aus ihnen und begeben sich auf die Suche nach ihrer Persönlichkeit.

Thema ist auch das Exil. Nicht nur gebe es iranische Exilant*innen in Europa, sagt Faika, auch im Iran lebten rund drei Millionen Afghan*innen im Exil. Vergangenes Jahr habe es in Teheran eine erste große Ausstellung afghanischer Kunst gegeben, „Wundern über Tanawo“ wolle nun neben der iranischen auch die große afghanische Community in Hamburg mitpräsentieren.

Thema ist schließlich auch die Situation der Kunst im Iran. Dass deren massivstes Pro­blem die Zensur sei, sei dabei eines der größten Missverständnisse hierzulande, sagt Rößler. Während längerer Aufenthalte in Teheran hat sie sich in der dortigen Kunstszene umgesehen. „Die Kulturszene in jeder Stadt dieser Welt ist ein Kriegsfeld um Gelder und die Frage, wer wirklich unabhängige Kunst macht“, sagt sie. „Das ist im Iran nicht anders als in Europa“, sagt sie.

Der Unterschied sei, dass es im Iran nur sehr wenig Fördermöglichkeiten gebe und der Druck entsprechend stärker sei. „Die Zensur ist erst der nächste Schritt. Wenn es keine Möglichkeit gibt, sich zu zeigen, entsteht die Problematik gar nicht erst.“ Es gebe Künstler, die große Galerien mit Sell-out-Druck oder Festivals komplett ablehnten und sich eher durch Handwerk ihren Lebensunterhalt verdienten, um künstlerisch unabhängig zu sein. Die einzelnen Gruppierungen mischten sich aber kaum. Hier eine Diskussionskultur zu schaffen, ist auch ein Ziel des Festivals.

Bis So, 18. 3., Programm unter www.tanawo-festival.org