Stadtgespräch
Michael Braun aus Rom
: Fröhliches Spekulieren und Kandidatenraten: Italien befindet sich im Schwebezustand. Wer wird regieren?

Zu Dutzenden sieht man sie in diesen Tagen mit ihren Rollköfferchen im Herzen Roms, Männer und Frauen, deren suchende Blicke gleich erahnen lassen, dass sie nicht ortskundig sind. Das wäre kein Wunder in der Ewigen Stadt, die jetzt im März von Tausenden Besuchern heimgesucht wird.

Trotz ihrer Trolleys sehen diese Menschen so gar nicht aus wie Touristen, viel zu schick sind sie angezogen. Ihr Suchen gilt nicht dem Pantheon oder der Piazza Navona, sondern den Eingängen des Palazzo Montecitorio und des Palazzo Madama, den Sitzen von Abgeordnetenhaus und Senat. Es sind die frisch gewählten Parlamentarier, die nach Rom gekommen sind, um die Prozeduren ihrer Registrierung zu durchlaufen.

Für Freitag waren die beiden Kammern zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammengerufen; zunächst haben sie die Präsidenten der Häuser zu wählen. Doch noch am Freitagmorgen war nicht einmal bekannt, welche Kandidaten die Parteien ins Rennen schicken würden. Kamerateams lungern vorm Abgeordnetenhaus, vor dem Senat herum, um den Volksvertretern Indiskretionen zu entlocken. Die aber zucken bloß mit den Schultern.

Rom befindet sich seit den Wahlen vom 4. März in einem Schwebezustand. Am Ende standen mit dem Movimento 5 Stelle (M5S, Fünf-Sterne-Bewegung) unter dem Spitzenkandidaten Luigi Di Maio, der auf knapp 33 Prozent hochgeschossen war, und der auf 17,4 Prozent gekletterten rechtspopulistischen Lega Nord zwar die Sieger fest, doch bisher zeichnen sich keine parlamentarischen Mehrheiten für eine Regierung ab.

„Alles Spekulation“, meint der ältere Herr am Tisch der Kaffeebar vor dem Pantheon und zeigt auf die drei Tageszeitungen, die vor ihm liegen. Das eine Blatt erklärt, warum eine „Koalition der Populisten“, des M5S und der Lega, die wahrscheinlichste Lösung sei. Die andere Gazette behauptet das glatte Gegenteil, vertritt den Standpunkt, dass es am Ende auf ein Bündnis der Fünf Sterne mit dem gemäßigt linken Partito Democratico (PD), der bisher den Regierungschef gestellt hatte, hinauslaufen werde. Genauso gut wie in den Zeitungen könne er im Kaffeesatz seiner Espressotasse lesen, wenn er wissen wolle, wie es in Rom weitergehe, höhnt der Mann dann noch.

So ungewiss die Aussichten sind, so unaufgeregt nehmen die Menschen in Rom die Situation zur Kenntnis. Zwei Frauen im mittleren Alter im Bus – aus ihrem Gespräch geht hervor, dass sie beim Amt des Ministerpräsidenten im Büro für Gleichstellungsfragen arbeiten – gehen den Eventualfall durch, dass der junge Di Maio von den Fünf Sternen Ministerpräsident werden könnte.

Sorgen wegen eines Chaos, wenn die von dem wild gewordenen Komiker Beppe Grillo gegründete Protestbewegung an die Macht käme? Keine Spur. „Zum Christdemokraten weichgespült“ zeige sich Di Maio doch in diesen Tagen, lästert die eine. Und die andere setzt nach, ausgerechnet die Fünf Sterne, die noch vor wenigen Jahren jeden Kompromiss mit anderen Parteien ausgeschlossen hätten, erklärten sich jetzt bereit , „mit allen“ zu reden. Die Feinde des Palazzo, bemerkt sie noch spitz, seien im Palazzo der Macht angekommen.

Mit allen redet aber auch heute der M5S noch nicht. Ein erster Kompromiss zur Verteilung der Kammerpräsidentschaften zwischen den Fünf Sternen und der Rechtsallianz aus Lega und Berlusconis Forza Italia scheiterte in letzter Minute. Berlusconi verlangte nicht bloß, die Senatspräsidentschaft müsse an einen Forza-Italia-Mann gehen, der wegen Unterschlagung vorbestraft ist. Er wollte auch noch, dass Di Maio ihn selbst empfängt – ihn, der mit seiner Vorstrafe wegen Steuerhinterziehung, wegen seiner Prozesse und seiner eigenwilligen Gesetzgebung ein entscheidender Katalysator für die Gründung und das Erstarken des M5S war.

Das wurde selbst für den manierlich-christdemokratisch auftretenden Di Maio zu viel. Als Berlusconi ihn angerufen habe, sei er nicht einmal an den Apparat gegangen, heißt es in Rom. Damit war der erste Kompromiss zwischen der Rechten und dem M5S geplatzt – und in Rom wird weiterhin fröhlich spekuliert.