Wir sind richtige Zauberer, Dicker

„Botten“ heißt im Slang der Sprayer abhauen. Und das steht im Mittelpunkt des „Book of Bott“. Das im Korbinian Verlag erscheinende Buch versammelt Kurzgeschichten, Gedichte und andere Beiträge von Sprühern

Stylemäßig die Seite gewechselt: die Herausgeber Karl Dietrich und Elias Hermann Foto: Foto: William Minke

Von Jens Uthoff

Underground ist da, wo es dunkel, dreckig und klaustrophobisch ist. Underground ist da, wo etwas zutage gefördert werden kann, was sonst nicht sichtbar wäre. Underground ist da, wo die Dinge nicht bei Lichte besehen werden. Underground ist da, wo alles andere over ist. Underground ist da, wo die gelben Waggons fahren, zumindest in Berlin.

Graffitikunst ist Undergroundkunst in mehrfachem Sinne. Sie wird im Verborgenen produziert und der Ort des Geschehens ist auch oft underground. U-Bahnzüge und unterirdische Wandflächen sind für Sprayer ein beliebtes Terrain. So spielen auch viele Erzählungen in dem Sammelband „Book of Bott“ im Untergrund. Das nun im Korbinian Verlag erscheinende Buch versammelt Kurzgeschichten, Gedichte und andere Beiträge von Sprühern auf gut 170 Seiten.

Die Beiträge des „Book of Bott“ widmen sich dabei alle einem Thema, das für fast jeden Grafitti-Jünger zum Sprüheralltag gehört: dem Abhauen vor der Polizei. „Botten“ ist Slang fürs „schnelle Verlassen des Spots beim Sprühen“, wie das Graffiti-Jargon-Wiki es ausdrückt. 48 Autoren beziehungsweise Autorenduos, fast alle männlich, berichten unter Pseudonym im Tagebuch- oder Fanzine-Stil, wie sie entkommen oder eben nicht entkommen sind. Also, ob sie „gebustet“ – gefasst – worden sind oder nicht.

Dieses sprachliche wie gedankliche Abtauchen ist reizvoll, aber man muss sich erst mal einfinden, wenn die jungen Leute berichten, wie sie „mullern“ (malen, also sprühen/taggen) gehen oder ihre „Checker“ (Schmieresteher) beauftragen, Ausschau nach möglichen „Zivten“ (Zivilpolizisten) zu halten. Also rein „streetknowledgemäßig“, wie es einmal im Buch heißt, lernt man schon was dazu.

Das Tempo der Geschichten ist überwiegend flott, es passiert ja auch viel. Nachts, oft nach Partys und Drogenkonsum, ziehen die Jungs durch die Großstadt. Sie blicken dem großen Feind Langeweile ins Auge: „Auf keinen Fall konnte ich jetzt schon nach Hause fahren. Irgendetwas musste doch noch passieren“, schreibt etwa Fonzi Caraglio.

Die erste Flucht, die vor der Langeweile, führt die Protagonisten hinab in den U-Bahnschacht. Geschildert werden die Aktionen im besten Fall im elliptischen Stil: „Kurz die Lage gecheckt. Geguckt, ob keiner guckt. Vorbeifahren. Alles easy, aber steht auf Reihe. Egal. Eingeübte Automatismen. Bahn kommt. Bahn fährt weg. Ab in den Tunnel. Warten auf den Takt zum Mitlaufen. Schnell, schnell, sonst wird’s eng mit dem Melder!“

Mega der Houdinischeiß

Wenn dann Polizisten oder BVG-Security auftauchen, heißt es entweder rennen oder verstecken. Und dann: Glück oder Pech haben. IXAP berichtet, wie die Polizeischeinwerfer an ihm im Versteck vorbeiziehen und wie er und ein Kumpel wundersamerweise nicht erwischt wurden: „Alter, voll die Copperfieldnummer, mega der Houdinischeiß, den wir da durchgezogen haben, wir sind richtige Zauberer, Dicker.“

Die meisten Storys spielen in Berlin, aber es gibt auch Ausreißer, etwa nach Indien oder Georgien. Die Texte sind bewusst kaum lektoriert, was manchmal den Charme der Stücke ausmacht, sie zum Teil aber auch dramaturgisch absaufen lässt. Dass die Fluchtgeschichten auf Dauer nicht ermüdend sind, liegt auch daran, dass manche Autoren experimenteller an das Thema herangegangen sind. Einmal wird kommentarlos eine Anklageschrift gedruckt, Juri Sternburg ist mit einem Fake von Polizeimeldungen dabei, und es finden sich auch gelungene Miniaturen wie das Gedicht von Bluto vom Pluto: „Spa10, Exo10 & Mutant10: / Sprüh10 & rann10 / Polizis10 & Rat10 / Verra10 & bus10 / Welch Spas10.“

Es passt, dass in der Ankündigung des „Book of Bott“ auf Jean Baudrillards berühmten Band (und Aufsatz) „Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen“ (1978) verwiesen wird, denn der fasst das Wesen der Graffitikunst immer noch sehr gut, vor allem, wenn man die Codes als Zeichen jugendlicher Selbstbehauptung und -verortung im urbanen Raum liest: „,Ich existiere, ich bin der und der, ich wohne in dieser oder jener Straße, ich lebe hier und jetzt'“ – so beschrieb Baudrillard das Motiv der Tagger und Sprayer. „Mit den Graffiti bricht in einer Art Aufstand der Zeichen das linguistische Ghetto in die Stadt ein.“

Ob nun jeder einzelne Text im „Book of Bott“ gelungen ist oder nicht – es sind fraglos einige tolle dabei –, ist nicht entscheidend. Ein gutes Zeichen ist es, dass Korbinian den „Aufstand der Zeichen“ und die Geschichten der jungen Rebellen und Möchtegernrebellen als literaturwürdig erachtet. Und dass diese Art der Undergroundliteratur in einem Verlag erscheint, der wahrgenommen wird. Möge er noch mehr aus dem Untergrund bergen.

Karl Dietrich & Elias Hermann: „Book of Bott“. Korbinian Verlag Berlin 2018. 177 S., 20 Euro. Heute Abend Buchpremiere, 20 Uhr, The Shelf, Prinzenstr. 34, Lesung mit Lilith Stangenberg & Maximilian Brauer