„Wollen Sie uns auffangen?“

Bastian Muhr zeichnet im Leipziger Museum der bildenden Künste aufden Fußboden. Die Kinder unter den Besuchern interessierte vor allem:Darf er das?

Ohne Titel, 2018, 32 m x 5,80 m, Kreide auf Muschelkalkboden, Privatbesitz Foto: Björn Sieber/Museum der bildenden Künste Leipzig

Von Sarah Alberti

taz: Herr Muhr, wie lange haben Sie an Ihrer Zeichnung im Leipziger Museum der bildenden Künste gearbeitet?

Bastian Muhr: Ich war über zwei Wochen fast jeden Tag im Museum, immer von 10 Uhr bis zum Abend, so gegen 18, 19 Uhr. Wenn ich den ganzen Tag durchgearbeitet habe, mit wenigen Gesprächen und einer längeren Pause, dann habe ich 20 Quadratmeter am Tag geschafft.

Das bedeutete, den ganzen Tag auf dem Boden zu knien – wie anstrengend war das?

In den Knien ging es, ich habe so Unterlegkissen für Fliesenleger gehabt. Aber nach drei Tagen habe ich es in der Hand gemerkt und dann auch mal einen Tag Pause gemacht.

Hätten Sie sich nicht helfen lassen können?

Die Bodenarbeit betont die individuelle Ausführung. Es wäre unmöglich, das mit einem Assistenten zu machen, weil man dann zwei verschiedene Handschriften nebeneinander sehen würde.

Die Zickzacklinien erinnern an die Schreibversuche von Kindern.

Ich habe eine Form gesucht, die ich einfach wiederholen kann, die sehr reduziert ist, aber doch genügend handschriftliche Variation ermöglicht. Ich habe ganz banal eine Zickzacklinie unter die nächste gesetzt und versucht, dass sich die Spitzen jeweils treffen. Weil ich die gesamte Zeichnung per Hand ausführe und ich relativ schnell arbeite, variiert die Musterung teilweise sehr stark.

Die Arbeit ist im Lichthof in der ersten Etage zu sehen, durch den jeder Besucher kommt, wenn er die dort liegenden Kabinetträume besuchen möchte.

Soweit ich weiß, ist der Raum von den Architekten als Pause zwischen den Ausstellungsräumen gedacht, von dem man einen weiten Blick auf die Architektur des Hauses hat. Durch die Balkone im zweiten Obergeschoss werden Perspektiven auf die Arbeit ermöglicht, die einem normalerweise verborgen bleiben.

Ich stelle mir den Arbeitsprozess durchaus meditativ, vielleicht sogar langweilig vor.

Ich habe Musik und auch Hörbücher gehört, vor allem um zu verhindern, dass mich Leute ansprechen, wenn ich mit der Arbeit wirklich vorankommen musste. Besonders am eintrittsfreien Mittwoch war das extrem. Da haben mich dann auch mal zehn Leute gleichzeitig beobachtet.

Welche Kommentare und Fragen kamen von den Besuchern?

Besonders interessant war eine Kindergruppe. Die fragten als Erstes: Darfst du das? Ein anderes Kind hat mich gefragt, ob ich die entstandenen Vierecke im Gitter noch bunt ausmale. Was ich beeindruckend fand, war, dass viele Leute die Arbeit sehr illustrativ verstanden haben. Sie haben zum Beispiel gesagt: Sie machen da so ein Netz. Bedeutet das, dass Sie uns auffangen wollen? Oder uns fangen wollen? Oder das man heutzutage ein Sicherheitsnetz braucht? Vielen Leuten fiel es schwer zu begreifen, dass die Arbeit nicht unbedingt einen verbal kommunizierbaren Grund hat, im Sinne von: Was will uns der Künstler sagen?

Und was haben Sie darauf geantwortet?

Es gibt für mich keine verbale Auflösung von dem, was sie da sehen. Für mich sind es eher ästhetische Fragen, die sich nicht verbal lösen lassen. Darum zeichne ich ja.

Und was sind Ihre ästhetischen Fragen?

Bastian Muhr

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Jahrgang 1981, lebt und arbeitet in Leipzig, wo er von 2004 bis 2010 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte. Anschließend absolvierte er dort ein Meisterschülerstudium bei Annette Schröter. Neben Malereien und Zeichnungen realisiert er ortsspezifische Werke, die nur begrenzte Zeit sichtbar sind. Für seine Einzelausstellung „Kante“ zeichnete er Zickzacklinien auf einer 200 Quadratmeter großen Fläche im Museum der bildenden Künste in Leipzig.

Das kann ich nur umschreiben: Wie schreibt sich Handschrift in eine Systematik ein? Wie gehe ich mit Definitionsbereichen von Bildern um? Ist das, was ich da mache, noch ein Bild? Besonders die Bodenarbeit gibt ja viele formale Eigenschaften eines Bildes auf, sie hat keine Vorderseite, kein Rechts, kein Links, hängt nicht an der Wand. Ich mute dem Betrachter zu, sich von einem Bild aus dem Raum verdrängen zu lassen.

Was waren die größten Probleme bei der Umsetzung?

Die meiste Arbeit macht tatsächlich nach wie vor die Frage: Wie kann ich die sehr empfindliche Arbeit schützen, ohne sie komplett abzusperren? Denn mit jedem Betreten der Zeichnung löst sich die Kreide – die Arbeit wird beschädigt. Jetzt gibt es ein weißes Klebeband und eine Art Holzlatte auf dem Boden, als Hinweis. Ich finde es gar nicht so schlimm, dass die Arbeit Schaden nimmt, das war mein Risiko. Aber ich finde es nicht so gut, wenn Leute in dem Bild stehen, dann ist es plötzlich ein Teppich oder eine Bodendekoration. Für mich ist das eher so, als würde jemand auf den Beethoven von Max Klinger klettern, der im Nachbarraum meiner Bodenarbeit steht. Ohne mich jetzt mit Klinger vergleichen zu wollen.

Die Ausstellung läuft nun drei Monate, schon während der Vorbereitung sind regelmäßig Besucher über die Arbeit gelaufen. Wie werden Sie mit kommenden Beschädigungen umgehen?

Ich gebe das mit der Eröffnung in die Hände des Museums. Ich habe mit den Mitarbeitern besprochen, dass ich in regelmäßigen Abständen vorbeikomme und Beschädigungen, so weit es möglich ist, verbessere. Wenn ich die halbe Arbeit neu machen müsste, dann würde ich sie noch vor dem Ende der Ausstellung entfernen.

Wer wird das tun?

Da wird wohl so ein Besenreinigungsfahrzeug drüberfahren. Notfalls mach ich das auch selber, aber das hat nichts mehr mit der Arbeit zu tun.

Bis 17. Juni, Museum der bildenden Künste, Leipzig