Alles
ganz
harmlos?

Waldorfschulen stehen in dem Ruf, ein Hort der Kreativität und des alternativ-ökologischen Denkens zu sein. Doch manchmal fühlen sich auch Rechte dort wohl, wie das Beispiel eines Reichsbürgers in Rendsburg zeigt. Zufall? Oder bedient die Lehre Rudolf Steiners Sehnsüchte rechten Denkens? schwerpunkt 43–45

Zu den Unterrichtsfächern an Waldorfschulen gehört die Eurythmie, eine von Rudolf Steiner entwickelte Kunstform, die zum Ziel hat, dass innere Seelenleben in Bewegungen auszudrücken. Hier: der Moll-Dreiklang Foto: Skizze: Rudolf Steiner

Von Andreas Speit

Es ist schon merkwürdig: Einerseits sind Waldorfschulen dem Geist der Anthroposophie verpflichtet. Nach deren Begründer Rudolf Steiner sollen sie die Kinder in „Ehrfurcht“ aufnehmen, in „Liebe“ erziehen und „in Freiheit“ entlassen – klingt nicht gerade nach rechtem Kaderdenken. Andererseits treten an Waldorfschulen immer wieder extrem rechte Lehrkräfte und Eltern in Erscheinung. Sie laufen bei einschlägigen Aufmärschen mit, während der andere Teil der Schule sich bei der Gegendemo einfindet. Die Frage ist nur: Warum wenden sich Rechtsextreme bewusst Waldorfschulen zu?

Als vor fast 100 Jahren die erste Waldorfschule in Stuttgart gegründet wurde, ging dies auf die Initiative des Stuttgarter Unternehmers Emil Molt zurück, des Eigentümers der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria und Mitglieds der Anthroposophischen Gesellschaft. Molt wollte, dass „auch die Kinder der einfachen Arbeiter in die Lage versetzt werden, diejenige Bildung sich anzueignen, die heute notwendig ist zum Aufstieg zu einer höheren Kultur“, wie er bei der Eröffnung der Schule am 7. September 1919 sagte. Rudolf Steiner hielt auch eine Rede, in der er „einen neuen Geist in erster Linie für alle Erziehungs-, für alle Unterrichtskunst“ forderte. Heute gibt es in Deutschland 242 Waldorfschulen mit 87.000 Schülern. In den größeren Städten wachse der Zuspruch, sagt Vincent Schiewe, Pressesprecher des Bundes der Freien Waldorfschulen. Im ländlichen Raum sinke die Schülerzahl wie bei allen Schulen.

Ambivalentes Verhältnis

Ambivalent ist das Verhältnis der An­throposophen zum Nationalsozialismus. 1935, zwei Jahren nach der Machtergreifung, wurde die Anthroposophische Gesellschaft verboten. Die Reaktion des Vorstandes ist bis heute ein Streitpunkt: In einem Schreiben vom 17. November 1935 heißt es, die Gesellschaft sei eine „aktive Vertreterin des deutschen Geisteslebens“, die in „wertvoller Weise für das Deutschtum“ eintrete. 1941 erging ein Reichsgesetz, wonach die Waldorfschulen endgültig schließen mussten.

Die Schulen seien „allmählich erstickt“ worden, heißt es aus anthroposophischen Kreisen. Kritiker weisen darauf hin, dass die Schulen erst geschlossen wurden, nachdem Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß mit dem Flugzeug nach England floh. Hess, der viel von biologisch-dynamischer Ernährung hielt, hatte die Anthroposophen geschützt.

Die Beziehung zwischen Anthroposophie und Nationalsozialismus hinterfragte 1991 die anthroposophische Zeitschrift Flensburger Hefte – Anthroposophie im Gespräch. Dass sich Rechtsextreme in der Esoterikszene tummelten, war bereits bekannt. Auf anthroposophischer Seite hatte Werner Georg Haverbeck, ehemaliger NSDAP-Funktionär und Gründer des rechtsextremen Zentrums „Collegium Humanum“, 1989 das Buch „Rudolf Steiner – Anwalt für Deutschland“ veröffentlicht. Der frühere Pfarrer der den Anthroposophen nahestehenden „Christengemeinschaft“ wollte mit Steiner eine Verschwörung gegen das deutsche Volk belegen.

In dieser Debatte wurden auch die kritischen Anmerkungen des Philosophen Ernst Bloch in „Erbschaft dieser Zeit“, erstmals 1935 veröffentlicht, zu den Erkenntnissen Steiners wiederentdeckt. Das „Okkulte“ von Steiner hätte das „Vordringen des Dunkelsinns faschistischer Reaktion“ mit ermöglicht, schrieb Bloch.

2010 wurde das Buch von Haverbeck postum neu veröffentlicht – mit einen Nachwort eines ehemaligen Waldorflehrers aus Niedersachsen, der ausführlich „auf die von Steiner behandelten unterschiedlichen Bedeutungen und Aufgabenstellungen der Völker und auch der Rassen für die Entwicklung der Menschheit“ eingeht. Er wolle dies als ein Votum „gegen die political correctness“ verstanden wissen, schrieb er. Seine politische Einstellung hatte an seiner ehemaligen Schule eine bis heute nachhallende Auseinandersetzung ausgelöst. Nachdem bekannt wurde, dass er sich beruflich bei der NPD engagieren wollte, mussten auch seine Kinder die Schule verlassen.

Bis heute hält ein Streit über die Eigenschaften von Menschengruppen an, die Steiner erkannt haben will. In einem Vortrag Steiners vor dem Bau des ersten „Goetheanums“, der Anthroposophen-Zentrale im schweizerischen Dornach im Jahr 1923, fielen die Sätze: „Indianer sterben naturbedingt aus“, „Neger haben ein starkes Triebleben“ und „die Weißen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwickelten“.

In dem anthroposophischen Standardwerk „Aus der Akasha-Chronik“ beschreibt Steiner die „sogenannten Arier“ als den am höchsten entwickelten Teil der Menschheit: Sie hätten sich aus den „Atlantiern“ entwickelt, nachdem deren „größte Masse in Verfall gekommen“ sei. Die „Atlantier“ wiederum seien aus den „Lemuriern“ hervorgegangen, die größtenteils zu „verkümmerten Menschen“ geworden seien, „deren Nachkommen heute noch als sogenannte wilde Völker gewisse Teile der Erde bewohnen“.

Steiner ergeht sich in Beschreibungen von „Rassen“ und „Rassencharakteren“ und fabuliert von niedergehenden „schwarzen“ und höher steigenden „weißen Rassen“. Den weißen obliegt es, die Denkkraft zu entfalten und die Menschheit vor der Dummheit zu retten. Anschlussfähig nach rechts außen sind auch Steiners „Volkscharaktere“, deren Funktion er in „Die Mission einzelner Volksseelen“ erklärt.

Erneut waren es die anthroposophischen Flensburger Hefte, die 1993 die Rassismuskritik aufgriffen, die außerhalb der Anthroposophie an dieser formuliert worden war. In Heft Nr. 41 resümiert Redakteur Thomas Höfer, dass Steiner „ein Kind seiner Zeit“ gewesen sei, der die „negativen Klischeevorstellungen und rassistischen Rechtfertigungstheorien seiner Zeitgenossen widerspiegelte“. „Fortschrittlicher wäre es gewesen, den Überlegenheitsanspruch der Weißen kritisch zu hinterfragen und sie nicht noch auf okkulter Ebene zu untermauern“.

Die Bereitschaft innerhalb der An­throposophie, sich mit diesen Positionen auseinanderzusetzen, ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Gern wird in Diskussionen betont, dass Steiner für die „siebte nachatlantische Kulturperiode“ das Verschwinden der „Rassen“ prognostiziert habe. Allerdings befinden wir uns nach Steiner derzeit erst in der „fünften nachatlantischen Kulturperiode“, in der die „germanischen Völker“ die Weltgeschicke noch bis zum Jahr 3537 bestimmen werden.

Promovierte Köchin

Zu den entschiedenen Kritikern gehört das anthroposophische Magazin Info3. Seine Autoren widersprechen Verschwörungstheorien und (auch antisemitischen) Ressentiments, die in der anthroposophischen Szene zirkulieren. Prompt griff der Blog der neu-rechten Zeitschrift Sezession um Götz Kubitschek im April 2017 Info3-Redakteur Jens Heisterkamp an, weil der einem Querfront-Bündnis zwischen rechten und linken Kräften eine Absage erteilt hatte. Info3 habe „den Weltgeist verraten und verkauft“, schrieb die Sezsession-Autorin Caroline Sommerfeld-Lethen. Bis Februar vergangenen Jahres arbeitete die promovierte Philosophin an einer Waldorfschule in Wien – als Köchin. Wegen ihrer Texte auf rechten Internetseiten wurde sie dort suspendiert. 2017 veröffentlichte sie mit Martin Lichtmesz das Buch „Mit Linken leben“ in Kubitscheks Antaios-Verlag.