Wuchernde Profilneurosen

Im Stück „Schlafende Männer“, das Martin Crimp fürs Schauspielhaus in Hamburg geschrieben hat, sind Frauen das starke Geschlecht – und die Männer am Ende womöglich alle tot

Wortstarke Furie, fauchende Bedrohung: Julia Wieninger in „Schlafende Männer“ Foto: Stephen Cummiskey

Von Katrin Ullmann

Es gibt eine Szene in Henrik Ibsens Theaterstück „Nora oder Ein Puppenheim“, da tanzt die Protagonistin, als ginge es um ihr Leben. Wild bricht Nora aus der einstudierten Schrittfolge des Tarantella aus und damit aus der einstudierten Ehe. Eine Weile versucht ihr Mann Helmer noch, sie zu korrigieren. Dann äußert er entsetzt: „Du hast ja alles vergessen, was ich dir beigebracht habe.“ Es ist ein Schlüsselmoment in Ibsens Emanzipationsdrama.

In Martin Crimps jüngstem Stück tanzt ein gewisser Tilman ebenfalls einmal ausschweifend und halsbrecherisch durch den Raum. Betrunken, scheinbar außer Takt geraten und doch ganz bei sich selbst. Auch hier ist die Szene eine zentrale, ist dieser traumwandlerische Tanz ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen. Denn ein wenig später ist Tilman dann tot. Höchstvermutlich.

Tilman, gespielt von Tilman Strauß, das ist der Mann von Josefine (Josefine Israel). „Komm schon, Tilman – zeig’s ihnen! Wir haben so viele Zimmer, er tanzt durch alle hindurch. Genau! Genau! Zeig’s ihnen!“, feuert sie ihn an – stolz darauf, wie gut sie ihren Mann der Öffentlichkeit präsentieren kann, wie gut sie ihn beherrscht. Ein bisschen schimmert da Helmer durch, jener Ehemann, der seine Frau jahrelang unterdrückt hatte.

Lediglich jetzt, im 21. Jahrhundert, bei Crimp, sind die Machtstrukturen radikal neu definiert. Jetzt haben die Frauen das Sagen. Und die Männer schlafen. So, „Schlafende Männer“ nämlich, lautet zumindest der Titel des Stücks, das der britische Dramatiker für das Hamburger Schauspielhaus geschrieben hat.

Katie Mitchell hat es im kleinen Malersaal uraufgeführt, mit – neben Josefine Israel und Tilman Strauß – Julia Wieninger und Paul Herwig. Der Autor hat den Darstellern das Stück auf den Leib geschrieben und so werden ihre Vornamen zu Rollennamen.

Es ist ein merkwürdiges Stück. Eines, das daherkommt wie ein Well-made-play. Es hält das erforderte Raum-Zeit-Kontinuum ein, ist konventionell strukturiert und erzählt.

Um zwei Uhr nachts besucht ein Paar (Josefine und Tilman) ein anderes (Julia und Paul). Im offenen Wohnküchenbereich der wohlsituierten, erfolgsbesessenen Kunsthistorikerin (Julia), offenbaren sich bald Intimitäten und Gewalt. Erst später fließt Alkohol, den vornehmlich Tilman in sich hineinschüttet, bevor er so herrlich ekstatisch tanzt.

Den ganzen Abend über sind die Dialoge zusammenhangslos und fahrig, sind eher Wortkaskaden als Gespräch, sind Wucherungen egomaner Profilneurosen. Man denkt an Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“.

Vor allem Julia gebiert sich als wortstarke Furie, die von ihrem Mann spricht, als wäre er ein kleines, unmündiges Kind. Sie ist von der ersten Minute an auf 180, eine fauchende Bedrohung. Er – zerbrechlich, feminin wirkend – stellt tatsächlich im falschen Moment die falschen Fragen, und macht sich im Schutz der Einbauküche erst mal einen Tee.

Auch das jüngere der beiden Paare zeigt mehr Distanz als Innigkeit. Mit herrlich herablassender Heiterkeit beschreibt Josefine ihren Tilman mit: „Er ist so komisch – wie er sucht und sucht.“ In ihren Augen ist auch er ein Kandidat, der die Welt lediglich in Zeitlupe begreift. Ein Schlafender.

Man könnte meinen, in dem stilsicher eingerichteten Wohnbereich (Bühne: Alex Eales) käme nun ein Vulkan zum Ausbruch, gebe ein Wortgefecht das andere, entblößen sich nach und nach seelische Schwächen und sexuelle Sehnsüchte. Doch – und vielleicht ist das der Haken – aller Hass, alles Zerfleischende, alle Geheimnisse werden gleich in den ersten Minuten offengelegt. Da gibt es keine Fassade, die bröckelt, da sind von Anfang an alle tragenden Wände eingerissen. Entsprechend lassen einen die Figuren die nächsten eineinhalb Stunden herzlich kalt.

Katie Mitchells distanzierter Inszenierungsstil tut sein Übriges. Die britische Regisseurin scheint sich nicht für die Figuren und ihre möglichen Geschichte(n) zu interessieren. Vielmehr stellt sie diese eher technisch durch das Stück, bevorzugt als Rückenansichten. Rein kompositorisch sind das ganz schöne Arrangements, doch die Schauspieler bleiben dabei weit unter ihren Möglichkeiten. Und jedes Mal wenn sich die vier in Slowmotion bewegen, scheint die Zeit – untermalt von ungut dröhnenden Sounds (Donato Wharton) – bedeutungsschwer stehen zu bleiben. Die Hitze der Nacht ist hier furchtbar kalt.

Am Ende, als sich Julia mit einem langen Küchenmesser langsam ins Nebenzimmer entfernt und mit Blut befleckt wiederkehrt, schlafen die Männer vermutlich den ewigen Schlaf. Warum ausgerechnet sie, die weit Überlegene, diesen Mord verübt, bleibt völlig unklar. Nach einem kurzen irritierten Schaudern geht sie wieder an die Arbeit. So als wolle sie beweisen: „Egal ob beim Sex, ob bei einem Gedankengang, Frauen können immer weitermachen. Ewig weiter und weiter und weiter. Wohingegen Männer gerne schlafen.“

Mi, 4.4., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus/Malersaal, Hamburg. Weitere Aufführungen: 5.4., 26.4., 28.4.