zwischen den rillen
: Disco klingt jetzt dystopisch

Essaie Pas: „New Path“ (DFA/Cooperative Music/PIAS)

„Der dunkle Schirm“ (Originaltitel: „A Scanner Darkly“) gilt als bedeutendstes Werk von Science-­Fiction-Autor Philipp K. Dick. Die meisten kennen den 1982 verstorbenen US-Autor zwar eher durch die Verfilmungen seiner Romane „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ (Filmtitel: „Blade Runner“) und „Minority Report“, aber die düstere, trist-bedrohliche Kulisse seines semi-autobiografischen Romans „A Scanner Darkly“ ist für Sci-Fi-Fans immer noch unerreicht.

Lange galt der Stoff als unverfilmbar. Erst 30 Jahre nach der Buchveröffentlichung wagte Richard Linklater 2006 mit „A Scanner Darkly“ einen Film, der sich wie Dicks Plot um eine Droge namens „Substanz T“ (T steht für Tod) dreht. Linklaters Verfilmung besticht schon durch ihre Rotoskopie-Technik, die für den paranoiden Grundton des Romans tolle Bilder fand.

Aus Montreal kommt nun ein beeindruckender Versuch, Dicks Roman auf musikalische Weise neue Facetten hinzuzufügen: Das kanadische Duo Essaie Pas basiert Musik und Texte seines Albums „New Path“ auf der Handlung von „A Scanner Darkly“. Es ist das vierte Werk von Marie Davidson and Pierre Guerineau und erscheint beim New Yorker Label DFA.

Dessen Kassenschlager sind die gerade wiedervereinten LCD Soundsystem um Labelchef James Murphy. Die Klangpalette von DFA hat sich in den letzten Jahren maßgeblich erweitert. Jahrelang Garant für Indie-Discopunk mit Kuhglocke und kühlen Wave-Elektro, war zuletzt wieder mehr Experimentierwillen im DFA-Katalog hörbar. Das ist auch dem Zeitgeist geschuldet, der sich vom flockigen Euphorie-Sound der Nullerjahre verabschiedet hat und die dunkleren Seiten von Pop in Charts und Playlisten nach oben spülte. Nicht nur in Berlin und New York, auch an der Peripherie hängt das mit dem Dispositiv „Club“ und seiner Rolle als Knotenpunkt des kulturellen Lebens zusammen.

Vortrefflich passen da die beiden Künstler*innen aus Montreal rein. Gerade Marie Davidson, die auch als Solokünstlerin arbeitet. Ihr Album „Adieux au Dancefloor“ wurde 2016 hoch gelobt, es steht für diesen grenzüberschreitenden neuen Dancefloor-Sound, der bei genauerer Betrachtung gar nicht so neu ist. Wie bei Davidson sind auch bei Essaie Pas musikalische Einflüsse erkennbar: Seien es die britischen Industrial-Pioniere Throbbing Gristle oder die ruppigen Entwürfe von Punk-Poppern, wie zum Beispiel Hamburgs Palais Schaumburg.

Essaie Pas sind allerdings keine Epigonen, ihnen gelingt auf „New Path“ musikalisch eine Aktualisierung von dunklem Synth-Wave, was wiederum zur Textwelt passt, die Dicks Motive von heute aus anders denkt. War es dessen Drogensucht, die den bildhaften dunklen Schirm aufspannte, sind es heute – wie Pierre Guerineau erklärt – eben nicht nur Drogen, sondern auch die anderen Süchte, die uns antreiben: „Dicks Visionen des Überwachungsstaates entsprechen der Realität der heutigen sozialen Kontrolle.“

„Der dunkle Schirm“ stellt im Buch auch ein Überwachungssystem dar. Wie soziale Netzwerke von heute Energie und Aufmerksamkeit fressen, wird also thematisiert, ebenso der Verlust des Selbst und die Paranoia der digitalen Massenmedien. Musikalisch findet dies seine Entsprechung in einem minimalistischen Sound, der durch Analog- wie Digital-Synthesizer geformt wird. Davidsons französisch gesungenen Texte, die ohne tiefere Kenntnisse der Sprache vor allen Dingen als weiteres Instrument wahrgenommen werden, setzen schmeichelnde Kontrapunkte, die die Dichotomie von Nähe und Ferne immer wieder aufrufen.

Essaie Pas liefern einen düsteren, sphärischen Soundtrack als Neufassung eines Sci-Fi-Klassikers. Auf literarische und filmische Überarbeitungen werden wir wahrscheinlich noch warten müssen. Auch wenn die Zeit gerade danach ruft. Lars Fleischmann