Unfälle durch rechtsabbiegende LKW: Lösung dringend gesucht

In Hannover wurde ein elfjähriger Radfahrer von einem rechtsabbiegenden Lastwagenfahrer übersehen und getötet. Es war 2018 der zehnte Todesfall dieser Art bundesweit.

An einer Straßenkreuzung stehen Fahrradfahrer und blicken sich über die Straße hinweg an.

Gemeinsam schweigen: An dieser Kreuzung ist am Mittwoch ein Kind gestorben Foto: Andrea Scharpen

HANNOVER taz | Das weiße Fahrrad lehnt an einer Ampel. Darunter liegen weiße Rosen und zwei Teddybären. Am Mast der Ampel hängt ein Schild: ‚Ein Albtraum‘ steht darauf. 30 Erwachsene und 15 Kinder haben sich am frühen Donnerstagabend auf die Straße gesetzt. Sie schweigen. Genau hier, an dieser Kreuzung an der sechsspurigen Vahrenwalder Straße in Hannover, ist am Mittwoch ein Kind gestorben.

Am Mittwochabend hatte ein LKW-Fahrer den elf jährigen Jungen beim Rechtsabbiegen übersehen. Laut Polizei hatten sowohl der junge Radfahrer als auch der Lastwagenfahrer Grün. Die Mutter des Kindes fuhr direkt hinter ihrem Sohn und sah mit an, wie er von dem LKW erfasst wurde. Der Junge starb noch an der Unfallstelle an den Folgen seiner Verletzungen.

„Das ist ein besonders tragischer Fall“, sagt Nadine Danows­ki vom Fahrradverband ADFC in Niedersachsen. Eine Ausnahme sei er aber nicht. Bundesweit sind laut ADFC im vergangenen Jahr 38 Radfahrer durch rechtsabbiegende Lkw getötet worden. In diesem Jahr waren es mit dem Jungen schon zehn Menschen.

„Das lässt, wo die Fahrradsaison gerade erst begonnen hat, Schlimmstes befürchten“, sagt Danowski. Der ADFC fordert, dass die niedersächsische Landesregierung eine Bundesratsinitiative unterstützt, die in der kommenden Woche behandelt wird.

Die Länder Berlin, Bremen, Brandenburg, Thüringen und Hessen fordern darin, dass sich Deutschland auf EU-Ebene dafür einsetzt, dass technische Lösungen, die solche Unfälle beim Rechtsabbiegen verhindern können, verpflichtend für Nutzfahrzeuge ab 7,5 Tonnen werden. Mit solchen Abbiegeassistenzsystemen, die den Fahrer mit Lichtzeichen und Geräuschen warnen und nach dem Wunsch der Antragssteller auch „bei Bedarf eine Notbremsung einleiten“, sollen alle Laster nachgerüstet werden, so die Forderung.

Die Idee, weiß gestrichene Fahrräder als Mahnmale an Unfallstellen aufzustellen, stammt aus den USA.

Die ersten 20 Ghostbikes wurden 2003 von Aktivisten in St. Louis aufgestellt.

In Deutschland übernahm zunächst der ADFC in Berlin diese Form der Erinnerung an im Straßenverkehr getötete Radfahrer. 2009 stellte der Verband dort elf Ghostbikes auf.

In Norddeutschland gibt es sie etwa in Osnabrück, Hannover, Hamburg und Göttingen.

Ein System, das selbstständig bremst, gibt es auf dem Markt allerdings noch nicht. Europaweit hat bisher nur Daimler ein Abbiegeassistenzsystem entwickelt. Das leuchtet zunächst gelb, blinkt dann rot und piept, wenn ein Zusammenstoß droht. „Der Fahrer hat durch die Warnung genügend Zeit, um selbst zu bremsen“, versichert eine Daimler-Sprecherin.

Doch auch in der bisherigen Version fordert der ADFC die Neuerung, die pro LKW rund 2.500 Euro kostet – und das Land solle dabei mit gutem Vorbild vorangehen. „Es müsste die Baustellenfahrzeuge der Landesbetriebe und die Fahrzeuge der Abfallwirtschaft mit dem System ausstatten.“

Das niedersächsische Verkehrsministerium ist bei den Assistenzsystemen noch zwiegespalten. Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) hat in der aktuell laufenden Verkehrsministerkonferenz zwar die Forderung nach verpflichtenden Abbiegeassistenten eingebracht, an eine schnelle Umsetzung scheint man im Ministerium aber nicht zu glauben: „Das Problem ist, dass es bisher kaum ein wirklich funktionierendes System am Markt gibt“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Bisher gebe es nur ein System, das tatsächlich praxistauglich sei. „Systeme, die nur teilweise funktionieren, sorgen allenfalls für eine Scheinsicherheit“, so die Sprecherin.

In der Staatskanzlei verweist ein Sprecher darauf, dass der Antrag in der kommenden Woche im Bundesrat noch nicht abschließend beraten, sondern erst einmal in den zuständigen Ausschuss verwiesen wird. „Diese inhaltliche Besprechung wird Niedersachsen abwarten müssen, bevor es zu einer Entscheidung kommt.“

Schutz auch für die Fahrer

Die SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag spreche sich dafür aus, den Antrag zu unterstützen, sagt der Abgeordnete Stefan Klein. Er denkt bei den Assistenzsystemen nicht nur an die Radfahrer: „Auch die Fahrer selbst werden dadurch geschützt“, sagt er. „Sonst müssen sie ein Leben lang mit dem Trauma leben, dass sie jemanden getötet haben.“

Um solche Unfälle zu vermeiden, können auch die Kommunen was tun. Das Verkehrsministerium rät etwa, Schaltungen an Ampelkreuzungen so zu verändern, dass die Radfahrer etwas früher Grün bekommen als die Autos. So rücken sie in das Sichtfeld der Lastwagenfahrer vor. Gleiches gilt für vorgezogene Haltelinien für Radfahrer. Zudem gebe es Versuche mit Spiegeln an Ampelpfosten. „Dazu gibt es allerdings noch keine belastbaren Ergebnisse, sagt die Ministeriumssprecherin.

Dem ADFC reicht das nicht: „Im dichten Stadtverkehr gibt es für die Fahrer beim Abbiegen eine Überforderung“, sagt Danowski. Um die Situation sicherer zu machen, müssten die Grünphasen von Fußgängern und Rechtsabbiegern komplett getrennt und nacheinander geschaltet werden. Dann käme es gar nicht mehr zu der gefährlichen Situation, dass LKW und Radfahrer gleichzeitig losfahren.

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