Untreue bei Stuttgart 21?

Gutachter fordern Ermittlungen gegen Bahn-Verantwortliche, die trotz Unwirtschaftlichkeit am umstrittenen Tiefbahnhof festhalten

Von Malte Kreutzfeldt

Der Vorwurf des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn das Projekt trotz klarer Hinweise auf Unwirtschaftlichkeit fortgesetzt und sich damit der Untreue schuldig gemacht haben, ist von Experten untermauert worden: In einem Gutachten im Auftrag des Bündnisses kommt Professor Jens Bülte, Wirtschaftsstrafrechtler an der Universität Mannheim, zu dem Schluss, es sei „evident“, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen müsse.

Politische Entscheidungsträger dürften als Mitglieder des Vorstandes oder Aufsichtsrats eines Unternehmens „keine unwirtschaftliche Entscheidung treffen, nur weil sie politisch opportun erscheint“, schreibt Bülte. „Das wäre ein Verstoß gegen Vermögensbetreuungspflichten.“ Viele Dokumente deuteten aber darauf hin, dass genau das geschehen sei. Die Kosten für Stuttgart 21 wurden ursprünglich auf 3 Milliarden Euro geschätzt, oberhalb von 4,7 Milliarden Euro galt das Projekt als unwirtschaftlich. Mittlerweile schätzt die Bahn die Kosten auf 8,2 Milliarden Euro. Allen beteiligten Entscheidungsträgern sei klar gewesen, „dass die Kostenkalkulation der DB AG nicht belastbar war“, meint der Strafrechtler. Die „Fortführung des Projekts ohne eine solide Kostenermittlung“ stelle „eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung“ dar.

Dieser Einschätzung schließt sich Wolfgang Neskovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und früherer Bundestagsabgeordneter der Linken, an. Er fordert die Staatsanwaltschaft Berlin darum zur Wiederaufnahme ihrer im November 2017 eingestellten Ermittlungen gegen die Bahn auf. Anderenfalls müssten die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers oder Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sie dazu anweisen, fordert der ehemalige Bundesrichter. Diese hätten die Pflicht, „auf die Arbeit der Staatsanwaltschaften im Rahmen ihrer Aufsichts- und Lenkungstätigkeit Einfluss zu nehmen“, schreibt Neskovic.

Der Justizsenator reagierte zurückhaltend auf diese Forderung. „Wir lassen uns im Rahmen der Fachaufsicht über den Fall berichten“, sagte sein Sprecher der taz. „Eine solche Weisung wäre aber äußerst ungewöhnlich.“