Ganz schön unfertig

Einen Monat lang beschäftigt sich das Hamburger Theaterduo Meyer&Kowski im Residenz-Theater Fleetstreet mit Unabgeschlossenem und Verdrängtem. Und kündigt dabei schon mal die eigene Auflösung an

Mit ihrem Business auch noch nicht finished: Angela Merkel auf einem der Bilder, die jetzt gemeinsam fertiggemalt werden können Foto: Meyer&Kowski

Von Katrin Ullmann

To-do-Listen, die sich wie von selbst immer wieder neu füllen, angefangene Bücher, ungesehene Filme, abgebrochene Gespräche, unvollendete Aufräumaktionen, verloren gegangene Freundschaften: Eigentlich sei das ganze Leben ein unerledigtes Geschäft, finden Susanne Reifenrath und Marc von Henning von Meyer&Kowski.

„Wir nehmen uns Dinge vor, nehmen Jobs an, starten Unternehmen, kaufen Autos und anderes Zeugs, pflanzen Blumen und Bäume, bauen Häuser, lassen uns auf Beziehungen ein, beginnen Ehen“, schreiben sie in der Ankündigung ihres Projekts „unfinished business“, mit dem das Duo noch bis Mitte Juni das Fleetstreet-Theater auf der Fleetinsel besiedeln wird. Dass wir am Ende unserer Leben ganz sicher nicht mit allem, was wir uns vorgenommen haben, fertig geworden sind, ist für die beiden Theatermacher*innen dabei überhaupt kein Problem. Um die „Schönheit und Notwendigkeit des Unfertigen“ soll es nämlich gehen.

Das Fleetstreet-Theater ist eine kleine, feine Ausnahmeerscheinung in der Hamburger Off-Theater-Landschaft. Einmal pro Jahr schreibt es international ein Residenzprogramm aus, auf das zuletzt mehr als 100 Bewerbungen eingingen. Eine ­neunköpfige Jury entscheidet über die Residenz, die neben dem Theater- und Probenraum in der Admiralitätstraße ein Wohnatelier und eine monatliche Aufwandsentschädigung von 2.000 Euro vorsieht.

Seit 2011 legt das Fleetstreet-Theater so ein kontinuierliches Residenzprogramm fest, gemeinsam mit der Hamburgischen Kulturstiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung und bis zum vergangenen Jahr auch mit Mitteln der Kulturbehörde. Das Förderprogramm versteht sich dabei eher als Recherche, weniger als Produktionsresidenz. Aber der exklusiv nutz- und bespielbare Proben- und Aufführungsort in der Admiralitätstraße ist verführerisch.

Für Meyer&Kowski fallen die Residenzwochen in ihre ihnen im vergangenen Jahr zugesprochene, auf drei Jahre und mit je 35.000 Euro angelegte Konzeptionsförderung. „Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt“, resümiert Reifenrath und fügt hinzu: „Nach dieser Zeit wird sich das Theaterkollektiv auflösen. Das ist zumindest das formulierte Ziel.“ Natürlich sei die Ankündigung auch als Kommentar zu verstehen, was als Theaterkompanie in Hamburg möglich ist. Denn was soll nach der Konzeptionsförderung noch kommen?

Vor zehn Jahren gründeten die Schauspielerin und Regisseurin Susanne Reifenrath und der Autor, Übersetzer und Regisseur Marc von Henning ihr Theaterkollektiv und haben bewusst nach einem unprogrammatischen Namen gesucht. „Meyer&Kowski, so könnte auch ein Umzugsunternehmen heißen“, sagt Reifenrath.

Seither taucht das Kollektiv immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen auf, mit einem eigenwilligen Format, nämlich Doppelmonologen, oder einem Live-Filmdreh – und vor allem an Orten abseits klassischer Theaterräume. Meist bedingt die Geschichte den Ort: mal ist das der Probenraum in der Wartenau, mal ein Loft in Wilhelmsburg, mal ein Hörsaal im Universitätsklinikum. So versetzt das Duo sein Publikum in eine ungewöhnliche Nähe zur jeweils behaupteten Realität. Die Zuschauer *in kann sich kaum in ihre klassische Rolle zurückziehen. Immer wird sie charmant und sanft in des Geschehen einbezogen, ob als Filmkomparsin, als geladener Dinner-Gast oder als Ärztin bei der Visite.

Crowdpainting ist im finnischen Helsinki gerade der heißeste Scheiß der Partyszene

Hinter dem geschickten Spiel stehe der Wunsch nach Durchdringung mit dem Publikum, bis man irgendwann gar nicht mehr sehe oder merke, wer Akteur, wer Zuschauer sei, sagt Marc von Henning: „Im besten Fall geht es nur noch um das Ereignis und nicht darum, wer es gemacht hat.“ Von der Arbeit mit Schauspieler*innen zu immer mehr performativer Durchdringung, so könnte man die Entwicklung, die Meyer&Kowski in den vergangenen zehn Jahren durchlebt hat, beschreiben.

„Einen Raum besetzen zu dürfen, ist etwas Großartiges“, sagt Reifenrath nun zum Auftakt der Fleetstreet-Residenz. Und dort, wo sie jetzt selbst Gäste sind, werden sie gleich wieder zu Gastgebern. Am Donnerstag dieser Woche lädt Meyer&Kowski ab 19 Uhr zum Crowdpainting-Event „Hamburg malt Merkel!“. Eine demokratische Party mit Farbpaletten, Cocktails und DJs soll es werden. Dafür stehen in der Fleetstreet vier riesige Porträts der Bundeskanzlerin Angela Merkel aus vier Jahrzehnten bereit, die „zeigen, welch tiefe Spuren das politische Leben in ihrem Gesicht hinterlassen hat“, sagt Reifenrath.

Beim Crowdpainting, einem gemeinsamen Tanzen, Feiern und Malen, das im finnischen Helsinki gerade der heißeste Scheiß der Partyszene sei, wie die Partymacher*innen erzählen, dürfen die Bilder gemeinsam nach dem Prinzip „Malen nach Zahlen“ vollendet werden. Auch das ist also ein Angebot, etwas Unfertiges gemeinsam fertig zu machen. „Wir schauen mal, ob die Bilder überhaupt fertig gemalt werden. Auch da übergeben wir die Kontrolle an die Crowd“, sagt Reifenrath und von Henning ergänzt lakonisch: „13 Jahre Angela Merkel und ihr Business ist noch völlig un­finished“. Egal obs fertig wird oder nicht: Ran an die Paletten!

Residenz im Fleetstreet-Theater: Do, 17. 5., bis Di, 12. 6., Admiralitätstraße 71

Crowdpainting: Do, 17. 5., 19 Uhr