Kolumne Der rote Faden: Werte und WLAN

Der toxische Heimatwahn der CSU ist leider nicht nur ein Problem der Bayern. Das ganze Land muss sich jetzt mit Wertekundequatsch befassen.

Alexander Dobrindt posiert vor Gipfelkreuz

Formvollendete Heimatinszenierung: CSU-Politiker vor güldenem Gipfelkreuz Foto: dpa

Eins muss man der CSU lassen: Heimatinszenierung kann sie. Als sich am Montag die Groko-Fraktionschefs auf 2962,06 Metern Höhe zur Tagung einfanden leuchtete der Himmel blau-weiß über dem Zugspitzmassiv. Der Ausblick: inspirierend, das WLAN tadellos, da hatte der Scheuer-Andi, Spezialminister für digitale Infra­struktur, persönlich dafür gesorgt. Und im Hintergrund, gut sichtbar auf sämtlichen Pressefotos, leuchtete gülden das Gipfelkreuz. Laptop und Lederhos’n, die CSU hat die Heimat im Griff, so die unmissverständliche Botschaft derer, denen die Landtagswahl so dermaßen im Nacken sitzt, dass sie Koalition und Republik mit täglich neuen Ausländer-raus-Vorschlägen strapazieren.

Man muss sich, ausgehend vom Zugspitzen-Auftritt und all dem Gerede über sogenannte Anker-Zentren für Geflüchtete und einer angeblichen „Anti-Abschiebe-Industrie“ (Dobrindt), fragen, ob es auch so was gibt wie eine blöde Heimatliebe: die Zugspitze als Kulisse missbrauchen, aber gleichzeitig mit Megaseilbahnen und neuen Skischaukeln die Alpen kaputtmachen? Die liebliche Landschaft und die Bauern rühmen, aber Nitrat und Stickstoffdünger auf die Felder pumpen lassen? Heimische Autohersteller schützen wollen – und bayerische Wohnmobile mit dreckigen Fiat-Diesel-Motoren auf die Straßen schicken?

Die Satiriker von der Biermösl Blosn haben diese toxische Heimatliebe längst angemessen gewürdigt: „Grüaß di God, Autobahn, pfia di God, Auerhahn! Grüaß di God, Heimatmuseum, grüaß di God, Squashzentrum! Grüaß di God, AKW, grüaß di God, Co. KG! Grüaß di God, ois’ beinand, tschüß, Bayernland!“

Leider ist die CSU-Profilneurose aber nicht mehr nur Problem der Bayern, die ja auch selber schuld sind, weil sie aktuellen Umfragen zufolge stolze 42 Prozent Zustimmung für die CSU signalisieren. Seitdem aber Horst „Ankerzen­trum“ Seehofer Innenminister ist, Andreas „Diesel“ Scheuer Verkehrsminister und Markus „Kruzifix“ Söder Bayern regiert, geht der Wahnsinn uns alle an. Von Darmstadt bis Flensburg, von Erfurt bis Saarbrücken muss man sich jetzt mit Forderungen wie der nach einem „Werteunterricht“ für geflüchtete Kinder auseinandersetzen.

Benimm für Ausländerkinder

Als gute Populisten haben Seehofer und Konsorten natürlich offengelassen, wie sie sich einen solchen Unterricht genau vorstellen. Sollen das Benimmkurse für Ausländerkinder sein, etwa statt Religionsunterricht (weil: der wird in unseren Schulen selbstverständlich weiterhin nur für Christen angeboten)? Oder sollen Abdurrahman und Fadila künftig gleich im „Anker-Zentrum“ von einem freundlichen Integrationslehrer lernen, wie man sich zur Begrüßung die Hand gibt, den Müll trennt, Streit mit Hilfe von Behörden und Justiz löst und ohne Kopftuch, aber mit Helm Fahrrad fährt?

Keine Frage: Es gibt eine Menge staatsbürgerlicher und kultureller Errungenschaften, die sich zu vermitteln lohnen. Dass Bürger, auch schon als Kinder, Rechte haben in diesem Staat. Dass es Meinungsfreiheit gibt und ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und kostenlose Bildung. Dass Frauen nicht als minderwertig betrachtet werden und Gewaltenteilung herrscht. Dass alle das Recht haben, sich weder von Religion noch Tradition behindern zu lassen.

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Zu einem solchen Unterricht gehörte eigentlich auch, dass wir eine lebendige Zivilgesellschaft haben, die all das einfordert. Ein schönes Anschauungsbeispiel lieferten da neulich die Geflüchteten, die sich in einer Ellwanger Massenunterkunft der Abschiebung eines Togolesen widersetzt haben: So viel Solidarität, so viel Zivilcourage! Das mögen wir doch hier, oder?

Scherz. Eigentlich ist der ganze Wertekundequatsch vor allem deshalb ärgerlich, weil er so überflüssig ist. Es gibt diesen Unterricht längst. Er heißt mal Politische Weltkunde, mal Sozialkunde, mal Ethik und wird an allen Schulen Deutschlands standardmäßig gelehrt. Schließlich kommen auch Kinder deutscher Eltern nicht als kleine Demokraten zur Welt, was jeder studieren kann, der selbst Kinder hat oder die Gelegenheit, welche aus der Nähe zu beobachten. „Wir hauen uns nicht so lange auf den Kopf, bis der Schwächere nachgibt, sondern versuchen unsere Konflikte verbal zu lösen“ gehört zum kleinen Regel-Einmaleins jeder Kindertageseinrichtung – zum Glück.

Nun zum Wesentlichen: Es wurde auch über Mieterschutz gesprochen auf der Zugspitze. Eine „Wohnungsbauoffensive“ steht an, mit einem Baukindergeld (für Familien der oberen Mittelschicht). 1,5 Millionen neue Wohnungen bis 2021 (für alle, die sich die Miete für eine Neubauwohnung leisten können). Und für den Rest? Soll es eine „Nachbesserung“ der Mietpreisbremse geben. Komisch: Den Begriff „kommunaler Wohnungsbau“ hat man kein einziges Mal gehört. Die Zugspitze ist halt nicht gerade home turf der SPD. Vorschlag: nächstes Groko-Treffen in Berlin-Mitte.

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Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.

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