geht’s noch?
: Lahme Ausreden

Der polnische Parlamentarier Janusz Korwin-Mikke darf sich im EU-Parlament ungestraft sexistisch und rassistisch äußern. Die Arbeit werde dadurch nicht gestört, so das Gericht

Stellen Sie sich vor, Sie sind Ingenieurin. Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch und machen Ihre Arbeit. Ein Kollege stellt sich vor sie hin und sagt: „Du bist dumm.“ Er sagt das aus einem einzigen Grund: weil Sie eine Frau sind. Ihnen macht das nichts aus. Sie arbeiten weiter an Ihrem Modell und pfeifen dabei ein Liedchen.

So ungefähr müssen sich die Richter am Gericht der Europäischen Union die Vorgänge im EU-Parlament vorgestellt haben, als es am Donnerstag verkündete: Der polnische Parlamentarier Janusz Korwin-Mikke darf für seine sexistischen Äußerungen nicht bestraft werden. Es erklärte damit Sanktionen für unzulässig, die das Parlament dem 75-Jährigen auferlegt hatte.

In einer Debatte über die Gender Pay Gap im März hatte Korwin-Mikke sich dafür ausgesprochen, dass Frauen doch bitte weiterhin weniger verdienen sollten als Männer: „weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind“. In einer anderen Sitzung über Migra­tionspolitik hatte er sich rassistisch geäußert und gesagt, Europa werde von „menschlichem Müll überschwemmt“.

Die Regeln des Parlaments erlaubten Sanktionen gegen Korwin-Mikke nicht, entschied das Gericht – obwohl es die Äußerungen als „besonders schockierend“ bezeichnete. Denn: diese Worte hätten nicht gegen die Ordnung verstoßen oder die Arbeit des Parlaments gestört.

Nun entspringen Vorstellungen wie die eingangs beschriebene wohl eher der Fantasie jener Menschen, die nicht wegen ihres Geschlechts oder irgendeines anderen Merkmals diskriminiert, belächelt oder sonst wie abgewertet werden. Expert*innen dagegen weisen immer wieder darauf hin, welche fatalen Folgen Mobbing haben kann; bis hin zu Depression und Arbeitsunfähigkeit.

Das EU-Parlament besteht zu 36 Prozent aus Frauen. Und im Idealfall zu 100 Prozent aus Menschen, denen Gleichberechtigung wichtig ist. Alle diese Menschen dürften von Korwin-Mikkes rassistischen und sexistischen Äußerungen gestört gewesen sein; auch, wenn sie vielleicht nicht auf die Tische geklettert sind oder wutentbrannt ihre Aktenordner durch den Plenarsaal geschleudert haben.

Überhaupt sollte jedes demokratische Parlament in seiner Arbeit gestört sein, wenn eines seiner Mitglieder eine der Grundfesten der Demokratie mit Füßen tritt: Gleichheit. Die Entscheidung des Gerichts ist aber vor allem eins: eine billige Ausrede dafür, dass man Sexismus und seine Folgen dort immer noch nicht ernst nimmt. Dinah Riese