Affäre um die Asylbescheide: Was für ein Bamf

Vorwürfe und Politmanöver: In der Diskussion über das Bamf wird mit vielen Unbekannten hantiert. 13 Fragen und Antworten.

Thomas de Maizière vor blauem Hintergrund

Die umstrittenen Entscheidungen fallen in die Zeit von Thomas de Maizière als Bundesinnenminister Foto: dpa

1. Wer ist Ulrike B.?

Die zentrale Figur der allgemeinen Aufregung ist eine 57-jährige Beamtin, die ab 1992 die Bremer Außenstelle des Bamf aufgebaut hat. Ihr wird vorgeworfen, zwischen 2013 und 2016 eigenmächtig und in enger Kooperation mit dem Hildesheimer Anwalt Irfan C. massenhaft Asylbescheide ausgestellt zu haben, die das Bundesinnenministerium heute als rechtswidrig einstuft. Etwa 400 Bremer Entscheidungen könnten zurückgenommen werden. Ob an den erhobenen Vorwürfen überhaupt etwas dran ist, prüft derzeit die Bremer Staatsanwaltschaft.

Noch im Jahr 2017, als Ulrike B. wegen Disziplinarmaßnahmen des Bundesamtes keine Asyl-Entscheidungen mehr hatte treffen können, soll sie unter dem Account eines ihrer Untergebenen einen fingierten Bescheid erstellt haben.

2. Um welche Fälle geht es?

Die Bremer Außenstelle übernahm unter Ulrike B. Fälle, die nicht aus ihrem unmittelbaren Einzugsbereich stammten, auch solche, die woanders schon bearbeitet worden waren. Das war aber nicht illegal. Derzeit, so das Bamf gegenüber der taz, werden die Regelungen für solcherlei Übernahmen neu überarbeitet. Die meisten der jetzt als anrüchig empfundenen Entscheide betreffen jesidische Familien aus dem Irak: „Asylverfahren von syrischen und irakischen Antragstellern jesidischen oder christlichen Glaubens“, so hatte seinerzeit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) den Bundestag informiert, „werden vom BAMF seit dem 18. November 2014 prioritär in einem vereinfachten Verfahren bearbeitet.“

Vereinfachtes Verfahren bedeutet laut Bamf unter anderem die „temporäre Aussetzung der Anhörung“ der Antragsteller und eine „Entscheidung über die Anträge mittels eines Fragebogens“. Dieses schriftliche Verfahren brachte laut einer Studie „neue Herausforderungen hinsichtlich rückwirkender erkennungsdienstlicher Behandlung sowie Prüfung der Passdokumente“ mit sich, also das, was jetzt in Bremen als defizitär gebrandmarkt wird. Hat die Bremer Außenstelle womöglich nur besonders konsequent die vom Ministerium vorgegebenen vereinfachten Verfahren umgesetzt? Das Bundesinnenministerium ließ die taz-Anfrage bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

3. Was war der Auslöser?

Eine gescheiterte Abschiebung im Sommer 2016: Eine sechsköpfige jesidische Familie, die 2015 aus dem Irak flüchtete, soll nach dem Willen der Region Hannover nach Bulgarien ausreisen – das Land, in dem sie auf ihrer dramatischen Flucht vor dem drohenden Genozid durch die IS-Milizen erstmals Asyl beantragt hatte. Deswegen hatte das Bamf in Friedland ihren Antrag gemäß Dublin-Verordnung zurückgewiesen, Abschiebeandrohung inklusive. Die hebt das Bamf Bremen am 21. Juli 2016 kurzerhand auf, weil den Betroffenen in Bulgarien menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Der Regionspräsident von Hannover, Hauke Jagau (SPD), und sein Genosse, Innenminister Boris Pistorius, beschweren sich beim Bamf. Dessen damaliger Leiter, Frank-Jürgen Weise, der auf Nachfrage nichts zu den Vorgängen sagen will, kassiert das Bremer Veto. Am 2. Februar wird ein Teil der Familie abgeschoben.

In einem Parallelfall aus demselben Zeitraum hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mittlerweile die Rechtsauffassung der Bremer Bamf-Leiterin bestätigt. „Auch nach strengen Maßstäben“ sei die Annahme gerechtfertigt, dass Asylbewerber*innen in Bulgarien „mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht“. Deshalb dürfen „in Bulgarien anerkannte Schutzberechtigte derzeit nicht nach Bulgarien abgeschoben werden“.

4. Wer hat ungerechtfertigt Asylstatus bekommen?

Das kann nur sagen, wer die Akten kennt – und die weiterzugeben wäre skandalös. Bekannt ist, dass es sich bei einer großen Zahl um sogenannte Dublin-Verfahren gehandelt haben soll. Nicht überprüfbar sind Meldungen über bereits in der Bundesrepublik Deutschland Vorbestrafte, deren Asylverfahren „von Anfang an rechtswidrig“ gewesen sein soll, wie das Bamf dem Spiegel mitteilte.

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Dass Vorbestrafte unter den angezweifelten Fällen sein sollen, wäre nicht skandalös: Vorstrafen in Systemen ohne faire Gerichtsverfahren können Ausdruck politischer Verfolgung sein (Nelson Mandela hatte lebenslänglich und wäre dennoch asylberechtigt gewesen).

Darüber hinaus können auch Menschen, die Gewaltdelikte begangen haben, aus politischen Gründen verfolgt werden. Drittens ist die Zahl der falschen Selbstbezichtigungen in Asylverfahren erheblich, weil die strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen, die ein Abschiebehemmnis sind. Outet sich jemand bei Antragstellung als syrischer Geheimdienstler, hat er wahrscheinlich sogar Anspruch auf Asyl, denn abtrünnigen Agenten von nichtdemokratischen Regimen droht in ihrer Heimat in aller Regel Verfolgung. Dass er gesondert zu überprüfen wäre, leuchtet trotzdem ein: Diese Routine soll in einem Fall außer Kraft gesetzt worden sein.

5. Handelt es sich um ein spezielles Problem der Außenstelle Bremen?

Je nachdem: Dass sozioökonomische und -kulturelle Faktoren das Asylverfahren in Deutschland mitprägen, ist klar. So zeigt sich laut einer Studie der Politologen Gerald Riedel und Lisa Schneider „in Bundesländern mit einer größeren Anzahl an letztjährigen fremdenfeindlichen Übergriffen eine geringere Anerkennungsquote im Folgejahr“. Bremen ist das Bundesland mit der höchsten Diversitätstoleranz. Von daher sind die Anerkennungsquoten hier kein Zufall. Allerdings sind die Außenstellen-Statistiken bislang unbekannt. Die Dependancen in Rendsburg, in Karlsruhe und Bingen am Rhein sollen auch im Visier sein.

Wie aus internen Emails hervorgeht, hatte ein Asyl-Entscheider der Außenstelle im rheinland-pfälzischen Bingen bereits vor Monaten bei Vorgesetzten in Nürnberg Alarm geschlagen, weil ihm die stark vom Bundesdurchschnitt abweichenden Schutzquoten für einige Nationalitäten suspekt erschienen. Den Aufzeichnungen zufolge erhielten in Bingen zwischen Januar und Oktober vergangenen Jahres 97 Prozent der Iraner Flüchtlingsschutz oder eine Asylanerkennung. 90 Prozent der Antragsteller aus Afghanistan erhielten in der einen oder anderen Form Schutz. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2017 lag die Gesamtschutzquote für Iraner bundesweit bei knapp 50 Prozent. Von den Antragstellern aus Afghanistan erhielten rund 44 Prozent Schutz.

6. Hat sich die ehemalige Leiterin Ulrike B. bereichert?

„Ulrike?“, sagt jemand, der seit Langem mit Frau B. per Du ist, „die hätte eher etwas draufgezahlt, als einem Flüchtling Geld abzuknöpfen.“ Ermittelt wird trotzdem wegen Korruption. Von in bar gezahlten Anwaltshonoraren­ an Irfan C. war bislang die Rede. Mehr lässt sich dazu derzeit nicht sagen.

7. Wer ist Josefa Schmid?

Josefa Schmid ist eine Frau, die beim Papstbesuch, wenn sie halt kein eigenes Kind hat, das von der Schwägerin zum Küssen hinhält: „Eine mutige Frau“ nennt sie der Stern, in dem dieses Privatfoto nun abgedruckt ist. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin (FDP) von Kollnburg wurde auf die Interimsleitung der Bremer Bamf-Außenstelle abgeordnet, um die wieder auf Kurs zu bringen, die Anerkennungsquote zu drücken, Unregelmäßigkeiten zu beseitigen, so ihre Schilderung. Schmid hat diese Bühne genutzt – entweder instinktiv oder aus Berechnung –, indem sie die Öffentlichkeit über ihre Sicht auf die Vorgänge im Bremer Bamf informiert hat. Das Bamf wollte aber keine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Jetzt ist sie zurückgeholt worden an ihren Dienstort Deggendorf. Sie klagt dagegen. Ihr Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde am 10. Mai zurückgewiesen.

8. Wie könnten die von Pro Asyl geforderten Qualitätskon­trollen bei Asylentscheidungen aussehen?

Randomisierte zentrale Überprüfung von Akten ist eine gute Idee. Tatsächlich ist fast die Hälfte der Negativbescheide fehlerhaft. Das müssen die Betroffenen allerdings selbst belegen, und das geht nur vor dem Verwaltungsgericht.

9. Welche Folgen hat die Affäre für Geflüchtete, die jetzt Asylanträge stellen oder deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind?

Das hängt davon ab, in welchem Umfang das Bamf in Fallingbostel die Aufgaben des Bamf Bremen während der vorläufigen Entscheidungssperre übernimmt.

10. Wer trägt die politische Verantwortung?

Die Fehler in Bremen passierten, als Thomas de Maizière (CDU) Bundesinnenminister war und politisch für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verantwortlich. Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) sagte im Innenausschuss, er gehe davon aus, „dass die Hausleitung, auch die damalige Hausleitung, von den Vorgängen in Bremen nicht Kenntnis erlangt hat“. Also auch de Maizière nicht. Im Bamf soll es allerdings schon 2014 interne Hinweise gegeben haben, dass in Bremen etwas schieflief. 2016 bekam auch die Ombudsperson des Bundesinnenministeriums einen anonymen Hinweis. Das alles spielte vor der Zeit von Innenminister Horst Seehofer (CSU).

11. Wie agiert Seehofer?

Er präsentiert sich als Chefaufklärer und versucht mit plakativen Maßnahmen in die Offensive zu kommen. Der Bremer Außenstelle verbot er diese Woche, weiter über Asylanträge zu entscheiden. Das behebt zwar nicht die Ursachen der Affäre – schließlich wird man nach Bekanntwerden der laxen Prüfungen gerade jetzt in Bremen sehr genau hinschauen. Aber darum geht es auch nicht. Seehofer wollte ein Signal der Stärke senden.

12. Wird es einen Untersuchungsausschuss zu der Affäre geben?

Das hängt von der Sondersitzung des Innenausschusses am Dienstag ab. Dass einer kommt, ist nicht unwahrscheinlich. Es müssen aber ein Viertel der Abgeordneten im Parlament einem Beschluss zustimmen. Die Grünen, die einen Untersuchungsausschuss bisher nicht fordern, haben einen langen Fragenkatalog an Seehofer geschickt. „Die Bundesregierung muss nun vollständige Transparenz walten lassen und das Parlament umfassend informieren“, sagte Luise Amtsberg, Flüchtlingsexpertin der Fraktion, am Freitag der taz. „Ein Untersuchungsausschuss steht als letztes Mittel weiter im Raum – allerdings würde dieser deutlich später erste Ergebnisse bringen.“

13. Was sagen die anderen Parteien?

FDP-Fraktionschef Christian Lindner fordert einen Untersuchungsausschuss, der auch Merkels Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 thematisiert. „Die FDP-Fraktion wird in der nächsten Sitzungswoche einen Antrag für einen Untersuchungsausschuss einbringen“, sagte Fraktionssprecher Nils Droste am Freitag der taz. Die rechtspopulistische AfD fordert dazu ebenfalls einen Untersuchungsausschuss. Beide Fraktionen verfehlen aber knapp das nötige Quorum. Es fehlen sechs Stimmen. Die Linke ist gegen einen Untersuchungsausschuss. Die Einsetzung sei „nicht das richtige Mittel“, sagte Gökay Akbulut, die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei-Fraktion. Es handele sich um einen „lokal begrenzten Vorfall“, der richtige Ort für die Aufklärung sei der Innenausschuss.

Die Grünen scheuen eine Kooperation mit der AfD, können sich aber einen Ausschuss vorstellen, der auf Missstände im Bamf fokussiert – und eine Mehrheit jenseits der AfD fände. Denkbar ist auch, dass es sogar in den Regierungsfraktionen Unterstützung für einen Ausschuss gibt. Die Frage könnte die Unionsfraktion spalten. Die CSU, Seehofer allen voran, hat in den vergangenen Jahren vehement gegen Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik gekämpft. Für ihn wäre ein Untersuchungsausschuss wenig bedrohlich, die relevanten Fehler passierten lange vor seiner Zeit.

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