„Rache!“, der Weg ist das Ziel

Kein Auge bleibt trocken. Eigentlich bleibt gar nichts trocken. Denn es regnet die ganze Zeit im ersten
Kriminal-Musical von Ahne & Henning Sedlmeir und der Musikerin Mareike Hube. Heute im BKA und sonst auf CD

Grüße aus Lakonien: Henning Sedlmeir, Mareike Hube und AhneFoto: Voland & Quist

Von Uli Hannemann

Für das Kriminal-Musical „Rache!“ von Ahne & Sedlmeir haben sich zwei Künstler gefunden, die bereits als Solisten für die Vermählung des Absurden mit dem Schönen stehen. Folgerichtig ergänzen sie sich in dem 65-minütigen Hörspiel hervorragend, das heute live im BKA-Theater aufgeführt wird. Die Macher der legendären Edgar- Wallace-Filme dürften angesichts dieser zwischen Krimiparodie, Trash und Rock ’n’ Roll angelegten Verbeugung vor ihrem Werk lachend im Grab rotieren.

Da ist zum einen der Berliner Autor Ahne, unter anderem weltberühmt für seine „Zwiegespräche mit Gott“, ebenso wie „Rache!“ bei Voland & Quist erschienen. Nach bester Lesebühnenmanier zimmert er für den Text Klischees bewusst so grob, dass sie immer wieder krachend in sich zusammenfallen.

Der laut Verlagsschrift „gelernte Rock-’n’-Roll-Star und Unterhaltungskünstler“ Henning Sedlmeir (die Einmannband schreibt sich ohne den Vornamen) wiederum stammt wie so viele verkannte Stars aus dem Bundesland des Lächelns, dem Saarland. „Sedlmeir nimmt Rockmusik ernst, indem er sie überzeichnet“, schreibt der Musikexpress anlässlich seiner jüngsten Platte „Fluchtpunkt Risiko“. Hier ist es eher die Überzeichnung durch den Ernst, die die subversive Albernheit des Hörspiels transportiert, sowohl über seine Musik als auch über die von ihm kühl und wie nebenbei gesprochenen Figuren. Grüße aus Lakonien.

Ein großer Gewinn für das Projekt ist die Musikerin Mareike Hube als Erzählerin. In ihrem Vortrag klingt exakt die Mischung aus Sachlichkeit und guter Laune wider, wie man sie sich im Morgenradio oft wünscht und selten bekommt. Damit verpasst sie der understatigen Ironie des Stücks die perfekte Klammer.

Die Handlung ist im allerfeinsten Sinne hanebüchen. Der erfolglose Schriftsteller Torsten McCollough (Sprecher: Ahne) ist mit seiner Freundin („Meine wunderschöne Freundin … ihre strammen teutonischen Schenkel …“) auf einem Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern verabredet. Doch sie ist nicht da – entführt? McCollough sucht sich die Nummer der Polizei (siehe da: 110!) aus dem Branchenverzeichnis, vergeblich: „Wenn man sie einmal braucht. Lichtenhagen, Hoyers­werda, Lady Di. Immer wollen sie nur die Nazis schützen.“ Da kann wohl nur noch Hugo Stark (Sprecher: Sedlmeir) helfen: „Er war in der Tat nicht nur Europas einziger, sondern auch sein effektivster Privatkommissar.“

Der im Gegensatz zum verzagt-verträumten McCollough über ein gesundes Maß hinaus coole und selbstbewusste Ermittler prügelt, demoliert und droht sich durch die Liste der Verdächtigen und Unverdächtigen, dass kein Auge trocken bleibt. Ohnehin bleibt hier gar nichts trocken. Die ganze Zeit über regnet es.

Allzu elaborierte Plots sind bloß Hilfskonstrukte für uninspirierte Angsthasen

Den Weg der beiden Helden säumt ein liebevoll gestaltetes Horrorkabinett aus Nebenfiguren, allesamt mit sehr dezenten Mitteln der Verfälschung von Ahne und Sedlmeir präsentiert. Um nur einige zu nennen: Der neugierige „Spießer“ auf dem Campingplatz, oder Tony Silverstone, ein von Sedlmeir mit der Schweineorgel in Szene gesetzter Michael-Holm-Wiedergänger: „Der betagte Schlagersänger wirkte wie ein geistig verwirrter Despot …“ Für den schaurigschönen Ohrwurm „Drei-Farben-Sommer-Girl“ reicht es allemal.

Nicht zu vergessen die fiese Nancy Mc Collough (!), „AfD-Vorsitzende in Vorpommern-Ostpreußen“: Was es mit der Identität der Identitären auf sich hat, möchten wir hier nicht spoilern. Obwohl das kein Problem wäre, denn in „Rache!“ ist definitiv der Weg das Ziel. Die Plot-Entwicklung mag man beliebig, irre oder genial finden, darum geht es den dreien gar nicht – eine so konsequente wie gute Entscheidung. Allzu elaborierte Plots sind bloß Hilfskonstrukte für uninspirierte Angsthasen, die ohne derlei Krücken in ein tiefes schwarzes Loch zu stürzen fürchten, das für sie Chaos, Anarchie sowie eine latente Bedrohung durch das weibliche Geschlecht symbolisiert.

Solche konträren Denkmuster sind es, derentwegen ein unüberwindbarer Graben zwischen „Humor“ und Humor verläuft, zwischen in starre Formen gegossenem Büttenquatsch hier und frei atmender Kunst wie „Rache!“ dort. Wer dieses Hörspiel mag, besitzt eine Seele; wer ihm nichts abgewinnen kann, ist eine Menschmaschine ohne Herz. Wie durch ein Wunder verzieht sich zu Beginn des Epilogs erstmals der Regen.

Ahne & Henning Sedlmeir: „Rache!“ live im BKA-Theater, Mehringdamm 34. 31. Mai, 20 Uhr

„Rache“ auf CD, Voland & Quist, 15 Euro