Kommentar Flüchtlingscamp-Räumung: Vertreibung mit System

Paris' größtes Flüchlingscamp „Le Millénaire“ wurde geräumt. Was aus den Bewohnern später werden soll, ist unklar. Dahinter steckt Kalkül.

ein Mensch mit rafft inmitten vieler Zelten einige Sachen zusammen

Kurz vor dem Abriss des Flüchtlingscamps am 30. Mai in Paris Foto: reuters

Die Pariser Stadtbehörden lassen per Communiqué danken. Wie die Bürgermeisterin Anne Hidalgo dies seit Wochen gewünscht hat, wurde am frühen Mittwochmorgen ein Flüchtlingscamp mit mehr als tausend Menschen an einem Kanalufer am nördlichen Stadtrand von Paris von der Polizei geräumt. Die mehrheitlich aus Sudan, Eritrea und Somalia stammenden Bewohner des Zeltlagers „Le Millénaire“ (wie die Jahrtausendfeier) sind vorübergehend in mehrere Turnhallen oder Notunterkünfte in der Umgebung der Hauptstadt gebracht worden. Was später aus ihnen werden soll, kann oder will niemand sagen.

Seit Wochen und Monaten haben sich die Stadt Paris und das für die Migrationspolitik zuständige Innenministerium gegenseitig die Verantwortung zugeschoben. Obwohl es in Paris rund 100.000 leerstehende Wohnungen gibt, behaupten die Hauptstadt­behörden, dass sie nicht über die erforderlichen Unterbringungsmöglichkeiten verfügen, die polizeiliche Räumung aber ist nur legal, wenn die „Evakuierten“ anderswo ein Dach über dem Kopf erhalten.

Seit der angeordneten Schließung des Flüchtlingslagers von Sangatte bei Calais vor bald zwanzig Jahren ist jede derartige Räumungsaktion das Eingeständnis einer sträflichen Hilflosigkeit oder einer unterlassenen Hilfeleistung ist. Der Bedarf an menschenwürdigen Unterkünften für diese aus Katastrophen-, Krisen- und Kriegszonen Geflüchteten ist schon viel zu lange hinreichend bekannt.

Wenn sich dennoch seit Jahren das Szenario der Bildung „illegaler“ Camps mit anschließender Vertreibung wiederholt, dann muss da wohl eine Absicht dahinterstecken: Die Aufnahmebedingungen für AsylbewerberInnen sollen nicht zu „attraktiv“ werden. Daran hat sich nichts geändert, seit 1989 der damalige Premierminister Michel Rocard erklärte, Frankreich könne „nicht das ganze Elend der Welt“ bei sich aufnehmen. Ein fairer Anteil an humanitärer Solidarität dagegen müsste doch drin sein?

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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