Sense mit Folgen

Das 4:1 von Olympique Lyon in der Champions League gegen Wolfsburg offenbart so ziemlich alle Defizite des VfL. Und das liegt nicht nur an Raubein Alexandra Popp

Kung-Fu-Kickerin: Alexandra Popp nähert sich Lyons Amandine Henry eher unsanft Foto: dpa

Aus Kiew Johannes Kopp

Für ihre Grätschen ist Alexandra Popp bislang sehr geschätzt worden. Mit beherzten Auftritten auf dem Rasen hat sie dem VfL Wolfsburg und der deutschen Nationalmannschaft schon oft aus der Not geholfen. Aber am Donnerstagabend im kleinen Valery-Lobanovski-Stadion von Kiew, als das Champions-League-Finale verlängert werden musste, war eine Grätsche von Popp der entscheidende Ausgangspunkt für eine klare 1:4-Niederlage gegen Lyon.

In der 67. Minute hatte Popp noch mit einer spektakulären Sense geglänzt. Sie sprintete zurück, rutschte Amandine Henry von Olympique Lyon in die Parade und verhinderte mit dem weggespitzelten Ball eine gute Torchance. So was nennt man im Fußball gern ein Zeichen mit Signalwirkung. In der Tat kämpfte sich das Wolfsburger Team gegen die favorisierten Französinnen bis in die Verlängerung. Der glückliche, abgefälschte Führungstreffer von Pernille Harder (93.) in der Overtime schien in dieser schicksalhaften Partie, bei denen die Wolfsburgerinnen gleich drei Spielerinnen verletzungsbedingt tauschen mussten, dann ein weiteres Zeichen zu sein, dass Fortuna es doch gut meint mit den Wolfsburgerinnen. Zumal die tschechische Schiedsrichterin Jana Adámková in der regulären Spielzeit übersah, dass VfL-Verteidigerin Noelle Maritz einen Ball erst hinter der Torlinie klären konnte.

Doch nach dem so befreienden Treffer von Harder setzte Popp an der Außenlinie im Mittelfeld zu einer Grätsche an, welche die Partie völlig aus den Angeln hob. Die Übeltäterin wurde mit einer Gelb-Roten Karte zu Recht vom Platz geschickt. Es war ein unerklärlicher Moment des Kontrollverlusts mit bemerkenswert verheerenden Folgen. Zack, zack, zack, sieben Minuten später hatte Olympique den 0:1-Rückstand in eine 3:1-Führung umgewandelt. Deutlicher hätte Lyon nicht demonstrieren können, dass es gegen die Großmacht des europäischen Frauenfußballs eines perfekten Spiels bedarf. Der erste klare Fehler hatte die Demontage der Wolfsburgerinnen zur Folge. Und der Namenspatron des Stadions, die verstorbene ukrainische Trainerlegende Valery Lobanowski, hätte seine Freude an dem technisch versierten Kombinationsspiel von Lyon gehabt. Am Ende feierten die Französinnen mit dem Pokal im lila Glitterregen einen 4:1-Erfolg.

Alexandra Popp sah das Unheil beim Platzverweis kommen: „Mein erster Gedanke war: Scheiße, diese Karte ist echt zu früh. Ich muss mich bei der Mannschaft entschuldigen, weil ich sie mit dem Platzverweis in de Bredouille gebracht habe.“ Auch wenn in Teamsportarten individuel­le Schuldzuweisungen verpönt sind, konnten in der Analyse auch die Teamkolleginnen die zentrale Bedeutung dieser Aktion nicht kleinreden. Es war zu offensichtlich, wie das deutsche Team in Unterzahl insbesondere durch die eingewechselten pfeilschnellen Außenspielerinnen Delphine Cascarino und Shanice van de Sanden auseinandergenommen wurde. Insbesondere die Niederländerin van de Sanden – schon bei der Europameisterschaft mit Abstand die sprintstärkste Spielerin – nutzte die Räume und bereitete drei Treffer vor. Lena Goeßling sagte: „Wir konnten die Löcher nicht mehr schließen. Lyon hat Weltklassespielerinnen. Das ging dann alles wahnsinnig schnell.“

Popp streute sich vor den Mikrofonen und Kameras weiter fleißig Asche übers Haupt. „Mit meinem Ding kam die Kehrtwende. Das ist einfach beschissen.“ Aller Enttäuschung zum Trotz rang sich Sportdirektor Ralf Kellermann ein positives Fazit ab. Er erinnerte an die beiden letzten Endspiele gegen Lyon in der Königsklasse 2013 und 2016 – und stellte fest: „Wir sind aus meiner Sicht wieder ein Stückchen herangerückt an Lyon und können positiv in die Zukunft blicken.“ Dieses Mal habe man deutlich mehr Ballbesitz gehabt. Und in der ersten Halbzeit hätte man auf Augenhöhe mit dem französischen Spitzenteam gespielt. Durch die frühzeitigen verletzungsbedingten Auswechslungen hätte man natürlich einen Qualitätsverlust kompensieren müssen.

Damit sprach Kellermann allerdings einen entscheidenden Unterschied an. In der Breite ist Lyon deutlich besser aufgestellt. Mit den Wechseln nahm die Qualität bei Wolfsburg ab, bei Lyon nahm sie zu. Zudem sollten sich die Wolfsburgerinnen nicht zu sehr auf Lyon fixieren. Die englischen Klubs waren im Halbfinale mit zwei Klubs – Chelsea und Manchester City – vertreten. In Zukunft will man dort noch mehr Geld investieren. „Gerade deshalb ist es schade, dass wir heute unsere Chance nicht genutzt haben“, sagt Coach Lerch.