Kolumne Geht’s noch?: Ganz alter Präsident

Befreit von der Last des Amtes, kann Joachim Gauck vom Leder ziehen: Ursache von Rassismus sei nicht der Rassist, sondern der sogenannte Fremde.

Eine gezeichnete Figur schlägt sich vor den Kopf

Der ehermalige Bundespräsident Joachim Gauck packt aus Illustration: Tom

Gerade noch haben wir uns gefreut, Joachim Gauck endlich los zu sein. Nun schleicht er noch mal um die Ecke, um all das zu sagen, was zu sagen ihm sein Posten als Bundespräsident jahrelang verbot. Denn der ist ja bekanntlich qua Jobprofil dazu verpflichtet, möglichst überflüssig und laid-back in seinem Schlösschen abzuhängen. Gauck freute sich schon bei der Bambi-Verleihung im Herbst darüber, „nicht mehr jede Äußerungen bis ins Detail abwägen zu müssen“.

Also packt er endlich aus. In der ­Heimat-Sonderausgabe der Bild lässt sich Gauck nicht nur im Stil der guten alten TV-Spots für Lebensversicherungen an einem windigen Strand ablichten, er äußert sich auch zu den ganz dringenden Themen dieses Landes: institutioneller Rassismus, bezahl­barer Mietraum, die immer weiter aus­einanderklaffende soziale Schere.

Spaß. Es geht natürlich darum, wie schön die Ostsee duftet, wie toll Gauck den Heimatbegriff findet und wie over die NS-Zeit ist: „Es war und ist überfällig, den Begriff vom früheren politischen Missbrauch zu befreien. Deutschland brauchte […] eine Erholung […]. Die ist inzwischen gut und weit gediehen.“

Keine falsche Rücksichtnahme

Nicht ganz so erholsam findet der Expräsident allerdings „Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sich nicht auf Deutsch unterhalten können und keine Elternabende ihrer Kinder besuchen“. Da sei es doch verständlich, dass viele Deutsche sich nicht mehr zu Hause fühlten, sondern sich „überfremdet“ vorkämen. Und das dürfe man ja wohl noch ganz entspannt sagen: „Es darf keine falsche Rücksichtnahme geben, weil man fürchtet, als Fremdenfeind zu gelten.“

Entschuldigung, als Fremden- was? Nun gut, schon klar, dass 128-Jährige nicht mehr mitkommen, wenn von hauls und von shade die Rede ist. Aber kann es sein, dass ein Mensch, der bis zum vergangenen Jahr noch Bundespräsident war, nicht weiß, was Rassismus ist? Und dass „Fremdenfeindlichkeit“ als keine angängige Bezeichnung mehr gilt, weil sie das Problem verharmlost und verzerrt, indem sie annimmt, Ursache der Gewalt sei, dass das Opfer fremd sei (was immer das ­bedeutet), und nicht, dass der Täter ein ­Rassist ist?

Ja, offensichtlich kann es sehr gut sein. Und am Ende des Bild-Interviews treibt einen nur noch eine merkwürdige Sehnsucht nach einer Zeit um, in der Joachim Gauck noch Bundespräsident war. Es war so viel schöner, als er noch in Bellevue chillte. Denn damals hat er wenigstens weniger gesprochen, und das war nun mal wirklich Wellness pur.

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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