G20-Polizeigewalt nicht zu ermitteln: „Kein gezielter Wurf“

Unverhältnismäßige Polizeigewalt ist strukturell schwer aufzuklären. Das belegen die internen Ermittlungen der Hamburger Polizei nach G20.

Eine Verletzte am Boden

Bei der Aktion „Colour the Red Zone“ gegen den G20-Gipfel ist eine Demonstrantin nach einem Schlag mit der Polizei-Tonfa an den Kopf zu Boden gegangen Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Ein Großteil der Fälle von mutmaßlich strafbarer Polizeigewalt beim G20-Gipfel bleibt voraussichtlich unaufgeklärt. 52, fast die Hälfte der 124 Verfahren wegen Körperverletzung im Amt, sind bereits eingestellt. Aus einer Anfrage der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft gehen nun erstmals die Gründe dafür vor: In 20 Fällen sei die Tat nicht nachweisbar gewesen. Elfmal sei es unmöglich gewesen, mutmaßliche Täter*innen zu ermitteln, in lediglich drei Situationen sei ein Gewalteinsatz gerechtfertigt gewesen.

Bei weiteren Fällen fehlten Anhaltspunkte für Straftaten, Strafanträge oder weitere Dinge. Lediglich in sechs der eingestellten Fälle wurden Zeugen vernommen, viermal mussten beschuldigte Polizist*innen aussagen. Zudem sei in den insgesamt 155 Ermittlungsverfahren die Identität von 69 Geschädigten nicht bekannt.

„Viele Betroffene von Polizeigewalt erstatten aus Angst vor Gegenanzeigen selbst keine Anzeige“, sagt Christiane Schneider (Linke). Sie geht davon aus, dass nur ein Bruchteil von unverhältnismäßiger Polizeigewalt überhaupt zur Anzeige kommt. Dass rund ein Jahr nach G20 noch keine einzige Anklage erhoben sei, sei ein „unerträglicher Zustand, der bei Betroffenen zu Verbitterung führt“.

Die Linke fordert nun eine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen in Hamburg sowie eine unabhängige Kontrollinstanz mit Ermittlungsbefugnis, ähnlich einer Landesdatenschutzbeauftragten. Bisher gibt es für die Aufklärung von unverhältnismäßiger Polizeigewalt die formal unabhängige Dienststelle interne Ermittlungen: „Aber Polizisten bei den internen Ermittlungen sind nur auf Zeit abgeordnet und gehen danach in den Regeldienst zurück – das ist keine richtige Unabhängigkeit“, so Schneider.

Hamburgs Oberstaatsanwältin Nana Frombach bestätigte der taz, mehrere Staatsanwält*innen hätten bemerkt, dass in Verfahren gegen die Polizei wenig Geschädigte und Zeug*innen aussagten. „Wir würden uns wünschen, dass alle zur Aufklärung beitragen könnten“, so Frombach. Warum es so wenige Verfahren gebe, könne sie nicht beantworten. Mit einer Praxis der Gegenanzeige hängt das aus ihrer Sicht jedoch nicht zusammen, weil die Anzahl der Gegenanzeigen bei G20 nur im einstelligen Bereich sei.

Christiane Schneider, Die Linke

„Keine Anklage gegen Polizisten – das ist ein unerträglicher Zustand, der bei Betroffenen zu Verbitterung führt“

Während Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) stumpf und sachlich falsch behauptet hatte, es habe während des G20-Gipfels keine Polizeigewalt gegeben, gab es große öffentliche Empörung über ausufernde Polizeieinsätze. Unverhältnismäßig wirkte Polizeigewalt insbesondere, wenn sie sich gegen Unbeteiligte oder Journalist*innen richtete, dokumentiert in zahlreichen brutalen Videos und Augenzeugenberichten. Wenn Gewalt zum Selbstzweck wird, hört das staatliche Gewaltmonopol allerdings auf. Der Staat darf Gewalt nur zielgerichtet und verhältnismäßig einsetzen.

15 Ermittler*innen sind seitdem bei den Internen Ermittlungen mit der Aufarbeitung mutmaßlicher Polizei-Straftaten befasst – zur Verfügung stand ihnen dabei genau so viel Videomaterial, rund 100 Terabyte, wie der Soko „Schwarzer Block“, die allerdings mit 144 Polizist*innen mutmaßliche G20-Straftäter*innen jagen – teilweise sogar mit internationalen Öffentlichkeitsfahndungen unter großflächiger Unterstützung von Boulevardmedien. 714 Strafverfahren allein rund um die autonomen „Welcome-To-Hell“-Demo stellte Soko-Chef Jan Hieber dem G20-Sonderausschuss kürzlich in Aussicht.

Die Zwischenbilanz der internen Ermittler*innen fällt im Vergleich dazu eher mager aus, obwohl der Polizeieinsatz bei dieser autonomen Demo besonders umstritten war. Ein Verfahren gegen einen Polizisten etwa, der bei „Welcome To Hell“ einen Feuerlöscher in Richtung von Demonstrant*innen geworfen haben soll, ist bereits eingestellt. Begründung: Es sei „kein gezielter Wurf in Richtung der Demonstranten nachweisbar“, zudem niemand geschädigt worden. Schneider regt der Fall auf: „Gegen Protestierende wird jeder Flaschenwurf angeklagt – da wird nicht der gleiche Maßstab angelegt.“

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