All das für 45 Tage Bleiberecht

Vor gut einer Woche verweigerten Italien und Malta 629 in Seenot geratenen Flüchtlingen den sicheren Hafen. Spanien sprang ein und ließ drei Rettungsschiffe in Valencia anlegen. In der taz berichten sie von ihrer gefährlichen Überfahrt und Gewalterfahrung in Libyen

Foto: Odyssee auf dem Mittelmeer: das Rettungsschiff „Aquarius“ Foto: Olmo Calvo/ap

Von Christian Jakob, Berlin

Wer sind die Schiffbrüchigen im Mittelmeer? Bei den 629 Geflüchteten, die nach einer tagelangen Odyssee am Sonntag im spanischen Valencia von Bord des Rettungsschiffes „Aquarius“ gingen, war eine Befragung nach üblichem Muster nicht möglich. Zu dramatisch seien die Umstände auf dem Schiff gewesen, heißt es von SOS Méditerannée, das die „Aquarius“ zusammen mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen betreibt. Einiges aber ist bekannt.

Die Geretteten stammen überwiegend aus Afrika, das Gros aus den ostafrikanischen Staaten Sudan und Eritrea. Auch Somalier, Südsudanesen und Äthiopier sind darunter. Unter den WestafrikanerInnen waren die NigerianerInnen die größte Gruppe, dazu waren Menschen aus Senegal, der Elfenbeinküste, Liberia, Gambia, Ghana, Mali, Niger, Togo und Kamerun auf dem Schiff. Ein kleinerer Teil der Geretteten stammt aus den asiatischen Ländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan.

Dass Menschen aus dieser Region versuchen, über Afrika nach Europa zu kommen statt über den Nahen Osten, hat zuletzt zugenommen. Auch Marokkaner und Algerier hatten versucht von Libyen nach Europa überzusetzen und mussten von der „Aquarius“ aufgenommen werden.

An Bord gegangen waren die Geretteten in Garabuli, einem Strandabschnitt östlich von Tripolis. Ein Teil gab gegenüber MitarbeiterInnen von SOS Méditerannée an, zuvor in privaten Haushalten in Libyen gearbeitet zu haben. Lohn hätten sie dafür nicht erhalten, allerdings sei ihnen das Ticket für die Überfahrt nach Europa in Aussicht gestellt worden. Andere gaben an, für das Bootsticket selbst umgerechnet 1.000 Euro gezahlt zu haben. Unklar ist, ob damit lediglich die Überfahrt oder auch die Freilassung aus dem Internierungslager abgegolten war.

Ein offenbar größerer Teil der Geretteten war zuvor in Lagern in der Stadt Bani ­Walid, etwa 150 Kilometer südlich von Garabuli, festgehalten worden. „Ein Umschlagplatz für die Schmuggler“, heißt es bei der Internationale Organisation für Migration (IOM) in Libyen. Hier kommen die Routen aus Süden und nach Norden zusammen. Entsprechend gibt es in Bani Walid von der Regierung betriebene Internierungseinrichtungen und solche, die von Milizen betrieben werden.

Die Passagiere der „Aquarius“ bezeichneten ihr Lager in Libyen als „prison“, also Gefängnis. Tatsächlich dürfte es sich um ein von privaten Milizen betriebenes Lager gehandelt haben. In die „offiziellen“, zu denen die IOM und Hilfsorganisationen Zugang haben, kommen nur solche Menschen, die von der libyschen Küstenwache auf dem Meer aufgegriffen und zurückgebracht werden – derzeit sind das nach IOM-Angaben etwa 7.000.

Vor allem für die ostafrikanischen Flüchtlinge aus Sudan und Eritrea gab es wohl kaum einen anderen Weg aus der Gefangenschaft in Libyen: Die sogenannte humanitäre geförderte Rückkehr, per Charterflug der IOM zurück ins Herkunftsland, gibt es nur für Nigeria, Gambia, Bangladesch, Pakistan, Niger und die Elfenbeinküste.

Die meisten „Aquarius“-Flüchtlinge verbrachten ihre erste Nacht in Spanien in verschiedenen Unterkünften. Zehn Migranten wurden am Montag in Krankenhäusern behandelt, wie die Regionalregierung in Valencia mitteilte. Wo die Migranten untergebracht sind, wurde am Montag vorerst weiter geheim gehalten.

Am Montag sagte die stellvertretende spanische Ministerpräsidentin Carmen Calvo, gut die Hälfte der 629 Flüchtlinge von der „Aquarius“ werde in Frankreich um Asyl bitten, es gebe eine entsprechende Vereinbarung mit dem Nachbarland. Sie dürften mit einer Sondererlaubnis 45 Tage im Land bleiben.

Am Montagabend wollte Angela Merkel mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte über die Flüchtlingspolitik reden. Der rechte Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini hatte der „Aquarius“ die Einfahrt in einen Hafen des Landes verwehrt und klar gemacht, dass er an dieser Linie festzuhalten gedenkt.