Die Brasilianer weinen wieder

Auch in diesem Turnier setzt Brasilien alle Hoffnung auf Neymar. Die Fixierung auf Stars im Fußball zeigt erstaunliche Parallelen zur nationalen Politik. Kult und Schuld um Einzelne haben Tradition – ob bei Lula, Dilma Rousseff oder Pelé

Nach Brasiliens Sieg gegen Costa Rica kniet Neymar auf dem Rasen und weint. Schon wieder so viel Emotion. Genau so, wie es nach dem 1:7 gegen Deutschland gewesen ist, als viele brasilianische Spieler weinten, und es nur um einen ging.

Bis heute glauben in Brasilien viele, dass, wenn der Stürmer Neymar damals mitgespielt hätte, das Ergebnis nicht so schlecht gewesen wäre. Denn die Brasilianer*innen setzen immer wieder die Hoffnung auf einzelne Personen. So war es bei Pelé, bei Ronaldo, bei Ronaldinho, und so ist es jetzt bei Neymar.

Es gibt viele Parallelen zwischen dem brasilianischen Spielsystem und der nationalen Politik. Auch da gibt es einen Personenkult, und die Erwartungen werden auf einzelne Personen, nicht Parteien, gesetzt. Diese macht man dafür verantwortlich, die ganzen wirtschaftlichen und politischen Probleme lösen. So wird und wurde es beispielsweise mit Lula gemacht, der vielen immer noch als Retter gilt. Doch Lula sitzt im Knast.

Ein weiteres Beispiel, wie man in Brasilien die Hoffnung, oder auch die Schuld, auf einzelne Personen setzt, ist die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff. Sie wurde alleine für die schlechte Auswirkung der Weltwirtschaftskrise auf das Land beschuldigt und war Opfer eines parlamentarischen Putsches im Jahr 2016.

Und im Fußball ist es ähnlich. Eine Kampagne von Mastercard zeigte, dass in Brasilien mehr Wert auf die Einzelplayer gelegt wird. Das Unternehmen versprach, für jedes Tor, das Neymar bei offiziellen Spielen der brasilianischen Nationalmannschaft schießt, 10.000 Mahlzeiten an Pflegeeinrichtungen zu spenden. Diese Kampagne wurde inzwischen nach Kritik unter anderem des brasilianischen Trainers Tite geändert. Jetzt spendet das Unternehmen für jedes Tor, das die brasilianische Mannschaft schießt.

Und vielleicht hat Neymar deswegen am Ende des Spieles so geweint, aus Erleichterung, dass er die große Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet, halbwegs erfüllen konnte. Und die Brasilianer*innen weinen mit. Marina Berhorn de Pinho