AfD-Protest gegen geplanten Gedenkort: Wo der Führer vor den Massen stand

Die AfD lud zum Bürgerdialog auf den Bückeberg wegen eines geplanten Gedenkorts ein. Dort hatten die Nazis ihre „Reichserntedankfeste“ inszeniert.

Eine historische Aufnahme zeigt eine Menschenmasse während der NS-Zeit auf dem Bückeberg

Auf dem Bückeberg bei Hameln feierten die Nazis von das „Reichserntedankfest“ Foto: dpa

BÜCKEBERG taz | Der Blick geht weit über das Weserbergland nahe Emmer­thal. Hier auf dem Nordhang des Bückebergs hat er gestanden, auf dem erhöhten Weg vom Fuße des Berges bis zur Spitze konnte er Hände schütteln.

800 Meter, die so angelegt wurden, dass der Führer den Massen ganz nah war – zum Anfassen nahe. Von 1933 bis 1937 fanden an diesem Hang die „Reichserntedankfeste“ für die „Bauernschaft“ statt. Bis zu 1,3 Millionen Menschen kamen auf dem ausgebauten Gelände in der Größe von etwa 40 Fußballfeldern zusammen.

Ein Event mit Adolf Hitler als Star. „Spüren Sie was? Den Schrecken dieses Regimes?“, fragt Stefan Wirtz. Und der niedersächsische Landtagsabgeordnete der AfD antwortet selbst: „Es ist nur eine Wiese.“

Am vergangen Dienstag hatte die AfD-Landtagsfraktion zu einem Ortstermin mit Bürgerdialog geladen. Denn diese „einfache Wiese“ soll ein Lern- und Gedenkort werden, über den „schönen Schein“ des „tausendjährigen Reichs“, der Macht der NS-Propaganda. „Das Gelände soll lesbar gemacht werden“, sagt Bernhard Gelderblom vom Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte.

Doch gegen den Beschluss des Kreisrats wächst der Protest. Mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Linken war das Projekt bewilligt worden. CDU und AfD hatten gegen den Lern- und Gedenkort gestimmt. Die Fronten sind verhärtet.

Stefan Wirtz, AfD-Abgeordneter im niedersächsischen Landtag

„Spüren Sie was? Den Schrecken dieses Regimes? Es ist nur eine Wiese“

Zu der Begehung hatte die AfD Gelderblom nicht persönlich eingeladen. Doch bei strahlendem Sonnenschein geht auch er mit der kleinen Gruppe von AfD-Mitgliedern und Gedenkort-Kritikern den Berg hinauf.

Die Begrüßung ist zurückhaltend. „Nein, die Anfeindungen haben nicht abgenommen, Briefe mit unappetitlichem Inhalt kommen immer noch“, sagt der Historiker, der mit seinen Forschungen das Gedenkprojekt angeschoben hat. Möchte man bei dem Besteigen des Berges genauer über den historischen Kontext wissen, muss man ihn fragen.

Ganz in der Materie sind der AfD-Landtagsabgeordnete Christopher Emden und die AfD-Fraktionsvorsitzende im Rat der Samtgemeinde Emmerthal, Delia Klages, nicht. Auch Wirtz muss das Gelände erklärt werden. Hier oben war die Ehrentribüne, sagt Gelderbom und zeigt auf Mauerreste, die überwuchert sind. Unten stand die Rednerbühne. „Nur Steine“, meint eine Anwohnerin, die mitgekommen ist

Bürgerdialog im Gemeindesaal

Beim Runtergehen sagt Wirtz: „Ich sehe schon die unmotivierten Schulklassen den Berg rauf und runter gehen.“ Diese überdimensionale Planung störe sie, sagt Klages, dass nun der Bund 725.000 Euro bereitgestellt habe – und dass die Anwohner „gar nicht gefragt“ würden. „Demokratie ist für keinen Preis zu haben“, sagt Klages, die eine Bürgerbefragung angeschoben hat. Doch geht es wirklich um pädagogisch-didaktische Fragen, demokratische Mitbestimmung und angemessene Raum- und Kostendimensionen?

Über den Räumen der Freiwilligen Feuerwehr Voremberg findet im Gemeindesaal der „Bürgerdialog“ statt. Eine kleine Leiter mit zwei AfD-Luftballons und handgeschrieben DIN-A-4-Zetteln weist vor dem Gebäude auf den Termin hin. „Jetzt ein kaltes Bier“, sagt ein älterer Herr. „Gibt nur Wasser“, sagt ein etwas jüngerer. Die Antwort: „Willst du mich vergiften?“

Giftig geht es bald in der Diskussion zu. Ganz ruhig erzählt AfD-Mann Emden, wie sehr ihn als 16-Jährigen der Besuch der KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof in den Vogesen beeindruckt habe. An dieses Regime mit all seinem Schrecken müsse erinnert werden.

Keine Distanzierung von Gaulands „Fliegenschiss“-Äußerung

„Wir wissen alle, dass das nicht bloß ein Fliegenschiss war“, betont er. Es klingt wie eine Distanzierung von den Äußerungen des AfD-Bundessprechers Alexander Gauland, was Emden auf Nachfrage jedoch verneint.

Den Bückeberg möchte auch er nicht zur Lern- und Gedenkstätte ausgebaut wissen. Mehrmals betont er, dass ihm das Gedenken an den Nationalsozialismus wichtig sei – schließlich würden er und seine Partei heutzutage auch stetig Anfeindungen und Ausgrenzung erleben.

Vor den rund 30 Gästen wird Anwohner Karl-Otto Gericke indes schnell deutlich: Eine „kleine Interessengruppe“ wolle sich selbst verwirklichen gegen den Denkmal- und Naturschutz, gegen das Baurecht und gegen den Willen der Bevölkerung, liest der Initiator der „Initiative Bückeberg“ vom Zettel ab.

Ein Weg mit acht Lerninseln

Er bekommt Applaus, genau wie Timo Schriegel, der auch zur „Initiative“ gehört, als er sich über vermeintlich intransparente Kosten beschwert. Rund 2.000 Unterschriften hat die sechsköpfige Initiative gegen das Projekt unter der Überschrift „Gibt es wirklich nichts Vordringlicheres als das Projekt Dokumentations-/Lernort Bückeberg“ gesammelt.

Mehrere Anwohner schimpften über den Zustand der Schule und der Gehwege. Ein Mann, der direkt am Weg zum Berg wohnt, schimpft, dass er die Steuern zahle, die da „verbraten“ würden. Erst sollten alle „wichtigen Dinge“ getan werden, dann könne man ja noch mal überlegen – wenn was übrig sei.

Ganz ruhig versucht Gelderblom auf Vorwürfe zu reagieren. Er erklärt einmal mehr, dass ein gemähter Weg sich den Berg hinauf schlängeln soll, mit acht Lerninseln, jeweils kleiner als der Versammlungsaal. Für AfD-Frau Klages ist das dennoch alles „überdimensional“. Hier würden Schuldkomplexe abgearbeitet. Sie und ihre Generation hätten sich nicht schuldig gemacht.

Die Macht der Propaganda sichtbar werden lassen

Eine Frau, nach eigenem Bekunden ebenfalls Mitglied der AfD, fühlt sich offenbar vom Applaus ermutigt: Sie beklagt eine „emotionale Erpressung“: Seit 70 Jahren würde „uns“ ein schlechtes Gewissen gemacht um „die Bevölkerung dumm und klein“ zu halten. „Genug ist genug“, sagt die ältere Dame, die auf dem Berg „nur Steine“ gesehen hatte.

Schriegel beklagt jetzt auch, man werde schräg angeschaut, wenn man sage: „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein.“ Mit zittriger Stimme versuchte Annet Schweizer, die an dem Gedenkkonzept mitwirkt, die Intention erneut zu erläutern: die Macht der Propaganda vor Ort sichtbar werden zu lassen.

Als Gelderblom darauf hinweist, dass die Kosten auch wegen der Wünsche der Anwohner nach einem Busparkplatz und Toiletten gestiegen seien, wird ihm vorgehalten, er verdrehe die Kritik. Immer wieder kommt der Vorwurf, mit den Anwohnern sei nicht wirklich gesprochen worden. Dabei ist immer wieder von Veranstaltungen und Ratssitzungen zu dem Thema die Rede. Parlamentarier Emden behauptet gar, „diese undemokratischen Strukturen“ konterkarierten das Anliegen, die Gefahr eines „undemokratischen Regimes“ aufzuzeigen.

Dennoch: Beim Lernort-Ini­tiator Gelderblom bedankte sich Emden schließlich dafür, dass er sich ins „Feindesland“ gewagt habe.

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