die woche in berlin
: die woche in berlin

Der Staatsschutz hat ein massives Problem mit einer SMS mit Nazi-Code. Die Initiative Berlin Werbefrei hat für ihr Volksbegehren die erste Hürde genommen. Das Ende des NSU-Prozesses wirft auch in der Hauptstadt viele Fragen auf. Und die S-Bahn kündigt eine Qualitätsoffensive an und will Verspätungen vermeiden – indem sie ab und an einfach mal ohne Halt durchfährt

Ein offenes Wort unter Vertrauten

Nazi-SMS beim Staatsschutz

Man muss sich das mal bildlich vor Augen führen: Ein Polizist schreibt kurz nach dem Weihnachtsmarktanschlag eine Silvester-SMS an mehrere Personen, darunter seinen Chef: „Kommt jut rinn. haltet euch von Merkel & Co und ihren scheiß Gut-Menschen fern. Ich erwarte euch im nächsten Jahr. Bis denne“ – keine drei Wochen später sendet er: „Haltet die Ohren steif“ und kurz darauf „88“. Letzteres ist der weithin bekannte Code für den verbotenen Nazigruß „Heil Hitler“.

Als die Geschichte am Donnerstag durch Recherchen von Morgenpost, NDR und „Kon­tras­te“ ans Licht kam, fiel vermutlich so manchem die Kinnlade herunter. Tatsächlich weiß man ja gar nicht, worüber man sich am meisten aufregen soll.

Dass ein Polizist – und zwar nicht irgendeiner, sondern einer vom Staatsschutz – also der Elitetruppe, die uns vor ­Extremisten schützen soll – in Nazi­sprache redet? Dass er dafür nur einen Verweis bekommen hat, die mildeste Form der Disziplinarstrafe, ansonsten aber weiter seinen Dienst als „Freund und Helfer“ versehen darf?? Dass der Polizeisprecher erklärt, „bei den betroffenen Beamten wurde keine extremistische Gesinnung festgestellt“???

Noch viel gruseliger als all dies ist die Vorstellung, in welcher Atmosphäre solche Nachrichten geschrieben werden. Offenkundig wusste der Absender, dass er und sein Chef sich in dieser Sache einig sind – wer traut sich schon, in rechtsextremistischer Weise zu wettern, wenn er nicht ganz sicher weiß, dass der Chef genauso tickt? Damit lag er ja auch nicht falsch, der Vorgesetzte hat nichts unternommen, nur zufällig kam die Sache ans Licht.

Und als ob das noch zu toppen wäre: Offenkundig gab es weitere Adressaten, die SMS richten sich ja an mehrere: „Kommt jut rin“, „haltet euch von Merkel fern“. Von den derart Angesprochenen hat – soweit bislang bekannt – niemand protestiert. Wirklich eine illustre Runde, die da beim Staatsschutz arbeitet.

All dies erfährt man einen Tag nach den Urteilen im Münchener NSU-Prozess. In vielen Kommentaren dazu wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass sehr vieles in diesem gesamten Komplex bislang nicht aufgearbeitet wurde. Zum Beispiel, wie blind unsere Staatsorgane auf dem rechten Auge wirklich sind.

Susanne Memarnia

Alternative zum Kommerz

Initiative Berlin Werbefrei übergibt Unterschriften

Es gibt viele Gründe, warum Werbung im Stadtraum ätzend ist. Es gibt sexistische Werbung, es gibt Werbung für ausbeuterische Textilhersteller und Werbung für Burgerbratereien, die uns irgendeinen Fraß unterjubeln wollen, der dann bloß unsere Arterien verstopft. Werbung ist Kommerz, eine Ausgeburt des Kapitalismus – und zu dem sollte es bekanntlich Alternativen geben.

Es wundert also nicht, dass rund 42.000 BerlinerInnen für das Anliegen der Initiative Berlin Werbefrei unterschrieben haben. Sie will ein Volksbegehren für weniger Werbung im öffentlichen Raum auf den Weg bringen. Am Freitag übergab die Initiative die gesammelten Unterschriften der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres.

Tja, wer kann schon etwas gegen ein solches Volksbegehren haben? Die Rollen sind ja klar verteilt. Hier der böse Burgerbrater, da der aufgeklärte Bürger, der die miesen Tricks der Werbetreibenden clever durchschaut.

Und doch: Man kann diese Ini­tia­ti­ve unsympathisch finden. Zum einen, weil man das Gefühl hat, da haben ein paar Leute die Moral auf ihrer Seite. Was stimmen mag, aber trotzdem haben vielleicht nicht alle Menschen Lust darauf, nach deren Fasson selig zu werden.

Denn es hat ja noch nie geholfen, sich die Augen zuzuhalten, wenn man etwas nicht sehen will. Die Textilfabriken in Indien verschwinden nicht, nur weil die einschlägigen Klamottendealer in dieser Stadt nicht mehr plakatieren dürfen. Weil hier ein paar Werbetafeln fehlen, dürften die wirklich fiesen Unternehmen dieser Welt nicht weniger Kohle machen.

Aber gut, aus den Augen ist ja oft auch aus dem Sinn. Und es ist immerhin auch anstrengend, ständig damit konfrontiert zu sein, welchen Preis das gute Leben hier hat.

Besser wäre allerdings: Man regt sich regelmäßig über die Schlechtigkeiten auf, die die Welt da draußen hinter der Berliner Stadtgrenze bereithält. Vielleicht kommt ja dann auch irgendwer mal drauf, was die Alternative zum Kapitalismus sein könnte. Anna Klöpper

Jetzt bloß nicht unter­tauchen

Konsequenzen aus dem Münchner NSU-Urteil

Alles in allem fällt es uns schwer zu glauben, dass der NSU und sein Umfeld so wenig Interesse an Berlin hatten.“ Man muss kein Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker sein, um zu glauben, dass nach dem Urteilsspruch gegen Beate Zschäpe am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht in München nicht alle Wahrheit über das rechtsextreme Terrortrio und seine Unterstützer ans Licht gekommen ist. Der anfangs zitierte Satz stammt aus der „Berliner Erklärung“ der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, namentlich June Tomiak und Benedikt Lux. Die Frage ist nur: Was folgt daraus?

Tatsächlich gibt es viele Spuren des NSU, die nach Berlin führen: So will ein Wachmann im Jahr 2000 Beate Zschäpe in der Nähe der Synagoge in der Rykestraße in Prenzlauer Berg gesehen haben. War das Gotteshaus ein mögliches Anschlagsziel? Es gibt den V-Mann des Berliner LKAs, Thomas Starke, der zum engsten Unterstützerumfeld des NSU zählte. Was wusste die Behörde über die untergetauchten Neonazis? In Brandenburg werden die Aktivitäten des V-Mannes des dortigen Verfassungsschutzes Carsten Szczepanski („Piatto“) in einem Untersuchungsausschuss untersucht. Welche Verbindungen hatte Szcze­panski nach Berlin?

Auch das Berliner Abgeordnetenhaus solle einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um die vielen Ungereimtheiten aufzuklären, fordert deswegen der Linkspartei-Innenpolitiker ­Niklas Schrader. Der Aufwand dafür wäre groß; es wäre zudem der bereits dritte derartige Ausschuss derzeit neben dem Amri- und dem neuen BER-Ausschuss. Die Grünen-Fraktion will einen anderen Weg gehen und nun – nach dem Münchner Urteil – Einsicht in alle Berliner Akten und Informationen mit Bezug zum NSU beantragen. Aber kriegen sie die auch?

Tatsächlich wäre ein gemeinsames Vorgehen zumindest der drei Regierungsfraktionen sinnvoll: um dem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen und als Zeichen, dass Rot-Rot-Grün in Sachen NSU für Aufklärung steht. Nicht zuletzt wäre es sinnvoll, am Ende irgendeine Art offiziellen Bericht zu haben. Das Abgeordnetenhaus hat jenseits von Untersuchungs- und Sonderausschüssen keine Möglichkeit, eine solche Angelegenheit recherchieren und klären zu lassen.

Anders der Senat: So hat Innensenator Andreas Geisel (SPD), ursprünglich um einen Untersuchungsausschuss zu verhindern, im April 2017 mit Bruno Jost einen Sonderermittler im Fall Anis Amri eingesetzt. Es würde Geisel gut anstehen, dieses Vorgehen im Fall des NSU und Berlin zu wiederholen. Er könnte sich sogar zugutehalten, damit diesmal wirklich einen Untersuchungsausschuss abgebogen zu haben.

Bert Schulz

Als die Geschichte ans Licht kam, fiel vermutlich so manchem die Kinnlade herunter. Tatsächlich weiß man ja gar nicht, worüber man sich am meisten aufregen soll

Susanne Memarnia über die SMS eines Polizisten mit Nazi-Code

Wieder mal kein Aprilscherz

S-Bahn will Halte bei Verspätung auslassen

Es ist nicht der Vorschlag selbst, der einen zum Heulen bringen könnte. Dabei ist es schon mehr als abgefahren, dass die S-Bahn GmbH als Teil einer „Qualitäts­offensive“ daran denkt, bei Verspätung an einzelnen Stationen nicht mehr zu halten, wie Anfang der Woche publik wurde. Das Schlimme ist, dass solche Vorschläge in Berlin eben nicht an einen verspäteten Aprilscherz denken lassen, wie ihn die Linkspartei-Landesvorsitzende Katina Schubert vermutete. Menschen ohne pädagogische Ausbildung als Lehrer, Abriss von Gartenlauben für Wohnungsbau oder ein Angebot zur Balkon-Untermiete – so etwas hätte vor noch gar nicht langer Zeit auch niemand glauben mögen.

All das ist aber Tatsache in einer Stadt, in der es in der Daseinsvorsorge einfach nicht rundläuft, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken: zu wenig Lehrerinnen und Lehrer, zu wenig Wohnungen. Und eben zu wenig funktionierende Züge mit zu vollen Wagen, in deren Enge sich Ein- und Ausstieg fast zwangsläufig verzögern und zu Verspätungen führen müssen.

Es ist ja nicht so, dass der Chef der S-Bahn GmbH, Peter Buchner, mit seinem am Dienstag bekannt gewordenen Vorschlag bewusst jene verärgern will, deren nächstgelegener Bahnhof Halensee oder Hohenzollerndamm ist. Das sind die Stationen, an denen verspätete S-Bahnen auf der Ringbahn künftig nicht mehr halten könnten, um nicht auch noch den nachfolgenden Zugverkehr durcheinanderzubringen. Buchner gilt als einer, der aus dem vorhandenen Material noch herausholt, was zu holen ist. Doch ihm ist nicht anzulasten, dass die Deutsche Bahn als Mutterkonzern die S-Bahn-GmbH noch vor einigen Jahren fast kaputtsparte.

Die Lage ist im wahrsten Wortsinn so verfahren, dass Buchner das aus seiner Sicht geringere Übel wählt: lieber wenige durch ausfallende Halte leiden lassen als viel mehr Fahrgäste durch komplette Zugausfälle, die sich auf der Ringbahn aus Verspätungen ergeben. Unangenehm ist dabei aber, dass Buchner und sein Unternehmen ihren Test, an einzelnen Bahnhöfen nicht zu halten, nicht ganz offen und ehrlich „Notmaßnahme“ nennen, sondern als Teil einer „Qualitätsoffensive“ ausgeben.

Dass jetzt führende Politiker der Koalition die S-Bahn-GmbH für ihren Vorstoß kritisieren, ist scheinheilig. Das Unternehmen kann nur die Züge fahren lassen, die es zur Verfügung hat, und das sind eben nicht genug. Viel zu lange läuft in der Berliner Landespolitik schon die Diskussion, wie und auf welchem Weg und vom wem die dringend benötigten neuen S-Bahn-Wagen zu beschaffen sind. Vielleicht trägt der vermeintliche Aprilscherz dazu bei, dass endlich eine Entscheidung fällt.

Stefan Alberti