„Mä­ze­na­ten­tumistundemokratisch“

Der Schriftsteller Jonas Lüscher beschäftigt sich in seinen Erzählungen mit der Finanzwelt und dem Leben der Reichen. Warum der edle Spender literarisch ergiebig, aber gesellschaftlich fragwürdig ist, erklärt er im Interview

1949 im englischen Bexhill: Reiche Frauen organisieren den Service „Essen auf Rädern“ Foto: Popperfoto/getty images

Interview Doris Akrap

taz am wochenende: Herr Lüscher, Elon Musk hat ein U-Boot nach Thailand geschickt, um den dort eingesperrten Jugendlichen zu helfen. Legitimes Hilfsangebot oder unlautere PR?

Jonas Lüscher: Beides lässt sich nicht eindeutig trennen. Ich kann Musk nicht absprechen, dass er helfen wollte. Dass er die ganze PR noch mitnimmt, scheint mir in den USA eher Usus: Tue Gutes und rede darüber! Jetzt wo Musks Gerät zu spät kam, wirkt das natürlich alles ziemlich aufgeblasen. Aber wie würden wir über Musk reden, wenn das Gerät das Leben der Kinder gerettet hätte?

Wie über einen Helden?

Das Problem ist ein anderes. Die ganze Welt starrte auf die eingeschlossenen Kinder und die beeindruckenden Rettungsbemühungen, während in Europa die Regierungen private Rettungsmissionen im Mittelmeer kriminalisieren und die USA kleine Kinder von ihren Eltern trennt. Bislang hat meines Wissens noch keiner der Vordenker aus dem Silicon Valley versucht, das logistische Problem der Familienzusammenführung zu lösen oder die Migranten im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten.

Immerhin sammeln jetzt TV-Promis wie Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf Geld für Rettungsschiffe. Kann so eine Spendenaktion denn politischen Druck aufbauen?

Der Druck hält sich vermutlich in Grenzen. Trotzdem ist die Aktion wichtig. Zum einen, weil solche Rettungsschiffe Leben retten. Zum anderen, weil dadurch eine bestimmte Art des Sprechens in der Öffentlichkeit präsent bleibt. Dass sich einer zu sagen traut: Im Mittelmeer ertrinkende Menschen zu retten, ist ein humanitärer Akt und kein Verbrechen! Eine solche Selbstverständlichkeit auszusprechen tut heute leider Not.

Was ist so verwerflich an Reichen, die ihr Geld in soziale Projekte investieren?

Es ist undemokratisch. Die Reichen haben damit die Möglichkeit, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Wozu das führt, lässt sich in den USA sehen: Die Infrastruktur liegt darnieder, der öffentliche Verkehr lahmt, die staatlichen Schulen sind, zumindest in ärmeren Gegenden, in keinem guten Zustand. Dafür fehlt es den privaten Unis an nichts, die Museen sind großartig ausgestattet und in reicheren Gegenden blühen die Parks. Demokratischer wäre es, das Geld über hohe Spitzensteuersätze dem Staat zu überlassen, sodass die Gesellschaft bestimmen könnte, wofür es ausgegeben werden sollte.

Auch der Kunst- und Literaturbetrieb lebt von Zuwendungen privater Spender. Wenn die Gesellschaft bestimmen könnte, würde vielleicht viel weniger für brotlose Kunst ausgegeben.

Ich glaube nicht, dass das der Fall wäre. Hierzulande werden doch die meisten Museen mit öffentlichen Mitteln betrieben, die Mehrzahl der Stipendien werden aus Steuergeldern finanziert, Orchester und Theater werden von der öffentlichen Hand getragen. Sicherlich, auch private Spender tragen ihren Teil bei, aber die Hauptlast trägt der Steuerzahler – und er ist offenbar bereit, diese Last zu tragen. Man kann sich natürlich fragen: Wie lange noch oder unter welchen Umständen? Der Rechtspopulismus in Italien hat der italienischen Kultur nahezu den Garaus gemacht. Und eine AfD-Regierung wäre vermutlich das Ende der Allianz zwischen Kultur und Gesellschaft.

Für Ihren Roman „Kraft“ haben Sie sich von Musks Kollegen, dem deutsch-amerikanischen Investor und Paypal-Mitgründer Peter Thiel inspirieren lassen. Was fasziniert Sie an solchen Typen?

Foto: imago

Jonas Lüscher,

1976 in Zürich geboren. Für „Kraft“ erhielt er unter anderem den Schweizer Buchpreis.

Thiel ist ein besonderer Fall, weil er extrem widersprüchlich ist. Er bezeichnet sich selbst als gläubigen Christen, will aber die Sterblichkeit besiegen. Er spricht als bekennender Libertärer viel von der Freiheit, rüstet aber den Staat mit Big-Data-Überwachungssoftware aus seiner Firma Palantir aus. Er bekennt sich als einer der wenigen im Silicon Valley ganz offen zu Trump, schreibt sehr krude, gelegentlich frauenfeindliche Essays, schimpft über die Finanzbranche, hat aber selber damit sehr viel Geld verdient – und auch verloren. Das ist so eine Attitüde: „Ich mach mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt“. Die ist literarisch ziemlich ergiebig, aber gesellschaftlich hoch problematisch.

Ist die Figur des edlen Spenders nicht sowieso eher Literatur als Realität?

Der edle Altruist ist vor allem eine Figur aus der Erbauungsliteratur und die haben wir glücklicherweise hinter uns gelassen. Wir müssen doch ehrlich sein. In jeder guten Tat steckt ein Anteil Eigennutz. Das ist ja erst mal auch nicht schlimm und wir dürfen nicht vergessen, dass der materielle Reichtum doch recht vergänglich ist und da ist es eben sehr verlockend, sich mit einer Stiftung die den eigenen Namen trägt, ein Stückchen Unsterblichkeit zu kaufen. Problematisch wird es dann, wenn man sich mit guten Taten von Sünden freikaufen will.

Was sagen solche ambivalenten Figuren wie die Tech-Milliardäre über den Zustand kapitalistischer Verhältnisse und unterscheiden sie sich von einem Rockefeller oder Siemens?

Der Vergleich mit den Industriebaronen der Gründerzeit ist insofern nicht ganz falsch, als wir uns in einer ähnlichen historischen Phase befinden. Eine sich vollziehende Industrielle Revolution – heute die digitale – schafft enorme Möglichkeiten, die von einem bestimmten Typus Mensch gierig genutzt werden. Es kommt zu einer massiven Konzentration von Kapital und Macht in den Händen weniger, während sich die Einkommensschere öffnet. Die historische Analogie zwischen den Industriebaronen und den Silicon-Valley-Tycoons ist aber auch nur so interessant wie ihre Unterschiede.