das körperdetail
: Das sich im Raum bewegende Hirnnetzwerk

Ohne Hirn kein Fußball Foto: vario images

Fußball ist athletischer und ebendeswegen schneller geworden, heißt es. In der Tat sieht man Fußballern an, wie gut sie trainiert sind. Trotzdem sind ihre Körper nicht so verformt wie die von vielen Athleten anderer Disziplinen. Der Fußballerkörper ist ein individueller Körper, er ist bei allen verschieden. Aber Fußball ist in erster Linie ein Mannschaftssport, keine solistische Disziplin. Fußball ist ein Sport der miteinander kooperierenden und konkurrierenden Gehirne. Fußball – ein Gehirnspiel.

Im Fußball treten auf spielerische Weise zwei Menschenhorden in Konkurrenz. In dieser Konstellation hat sich das menschliche Gehirn zum wichtigsten Organ von allen entwickelt: in der der überschaubaren Gruppe der Horde, die in Konkurrenz mit anderen Gruppen steht. Innerhalb der Gruppe sticht Kooperation Aggression. In der Konkurrenz mit anderen Gruppen treibt Aggression die eigene Gruppe an. Fußball ist auch Kriegsersatz. „Für zwei Stunden schweißt der große Anlass die gesteuerte und kommerzialisierte Solidarität der Fußballinteressenten zur Volksgemeinschaft zusammen. Der kaum verdeckte Nationalismus solcher scheinbar unpolitischen Anlässe von Integration verstärkt den Verdacht ihres destruktiven Wesens“, schrieb Adorno. Wer aber nur den Stellvertreterkrieg und den na­tio­nalen Wahn auf dem Platz erkennen kann, sieht nicht, was für das Spiel als Spiel viel wesentlicher ist.

Fußball verlangt kooperative Intelligenz. Kooperieren heißt kommunizieren. Ein Fußballteam ist ein sich im Raum bewegendes Netzwerk von Gehirnen, die in ständigem Austausch miteinander stehen. Das gelingt nur in einer flachen Hierarchie, im demokratischen, vielleicht sogar anarchischen Miteinander. Anarchie bedeutet Ordnung ohne Herrschaft, und es ist kein Wunder, dass der Begriff der Kooperation zentral für viele anarchistischen Denker war.

Ein Spiel wird nicht gemacht und schon gar nicht gewonnen, indem ein Führer seinen Untergebenen Kommandos weitergibt. Ein Mannschaftskapitän ist kein General. Er heißt Kapitän, weil er wie der Kapitän eines Piratenschiffs wegen genügend Grips, Durchsetzungskraft und vor allem natürlicher Autorität zum Kapitän gewählt wurde.

Der Kapitän hält seine Gruppe zusammen, indem er ihr Zuversicht gibt. Deswegen ist der Kapitän auch immer ein Schamane, der den Geist des Gemeinsamen beschwört. Der Kapitän ist nicht notwendigerweise der Spielmacher. Der Spielmacher gibt entscheidende Impulse ins Gehirnnetz. Er erkennt Möglichkeiten, eröffnet unerwartet Räume für Spielzüge. Diese Möglichkeiten lassen sich nur dann realisieren und diese Räume lassen sich nur dann nutzen, wenn die Mitspieler mitdenken – und mitfühlen.

So erzählt uns Fußball mehr vom Menschen als alle anderen Sportarten. Er ist in jeder Spielminute unsere Utopie. Ulrich Gutmair