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: Ludwig Baumann gab Deserteuren des Zweiten Weltkriegs ihre Würde zurück

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Ludwig Baumann war 70 Jahre alt, als er sich entschied, aus seiner Bürde einen Kampf zu machen: Die Erinnerung, die ihn seit 48 Jahren verfolgte, in etwas Neues zu verwandeln und den Deserteuren des Zweiten Weltkriegs ihre Würde zurückzugeben. Und damit auch sich selbst.

Baumann war 1942 mit einem Freund in Frankreich desertiert. „Wir wollten es nicht mitmachen“, so hat er die Entscheidung im Nachhinein beschrieben, „wir wollten einfach leben.“ Doch die beiden werden gefasst und zum Tode verurteilt. Nur weil Baumanns Vater, ein wohlhabender Hamburger Tabakhändler, seinen Einfluss geltend macht, ändern die Richter das Urteil in zwölf Jahre Zuchthaus um. Baumann und sein Freund Karl Oldenburg verbringen acht Monate in der Todeszelle im Wehrmachtsgefängnis Torgau, sie sehen, wie andere Deserteure erschossen werden. Schließlich werden sie in sogenannte Bewährungsbataillons an die Ostfront gezwungen. Karl Oldenburg stirbt dort.

Nach Kriegsende heiratet Baumann, bekommt sechs Kinder, jobbt. Aber der Schmerz begleitet ihn, nachhaltig und unerkannt. Baumann trinkt, er vertrinkt das ganze Erbe, und lässt es erst bleiben, als seine Frau stirbt und er alleine für die Kinder sorgt.

Wenn man lange Jahre später Ludwig Baumann in seiner Wohnung in Bremen-Vegesack trifft und er von diesen Erfahrungen spricht, dann sagt er: „Je mehr ich erzähle, desto routinemäßiger erzähle ich es.“ Aber die Routine hat der erstaunlichen Hartnäckigkeit seines Kampfes nichts genommen und vielleicht auch seinem Schmerz nicht.

Im Jahr 1990, als 70-Jähriger, begründet Baumann den Verband der Opfer der NS-Justiz mit 37 weiteren Überlebenden, er wird schnell zu einem Gesicht der Bewegung. Nicht nur die Journalisten finden seine Tür, an der ein Schild hängt, „Sprechstunde: Vor 8 und zwischen 13 und 15 Uhr bitte nicht stören“, geschrieben von der Enkelin. Es finden ihn auch die Briefe voller Hass, adressiert an den Volksschädling Baumann. Es wird ein langer Weg bis zur Rehabilitierung der Deserteure. In der Politik finden viele Stimmen von CDU und FDP, dass eine Rehabilitierung der Deserteure notwendigerweise die übrigen Wehrmachtssoldaten ins Unrecht setze. Auch in der SPD ist das Engagement lange verhalten. Erst 2002 werden pauschal alle Urteile der Wehrgerichte gegen Deserteure aufgehoben.

Für Ludwig Baumann ist das nicht das Ende seines Engagements. Er hat keine Scheu, sich ins Getümmel zu werfen: sei es, dass er Günther Oettinger wegen seiner Reinwaschung des NS-Richters Filbinger anzeigt, sei es, dass er beim anarchischen Gelöbnix gegen das Bundeswehrgelöbnis protestiert. Aber Baumann stellt sich auch vor die Kasernen, um bei der Einberufung direkt mit den künftigen Soldaten zu sprechen. Vielleicht war auch das eine Folge seiner Erfahrungen: vor nichts mehr Angst zu haben. In der vergangenen Woche ist er 96-jährig gestorben, heute erinnert die Friedensbewegung in Bremen an ihn. Friederike Gräff