Wenn das Monster
sich zeigt

Der Berliner Avant Verlag veröffentlicht das Werk des Altmeisters Alberto Breccia, aktuell eine historische H.-P-Lovecraft-Adaption

Gezeichnet und collagiert: Szene aus dem besprochenen „Lovecraft“-Band von Alberto Breccia Foto: Avant Verlag

Von Ralph Trommer

Es beginnt mit einer harmlosen Unterhaltung. Ein junger Mann hört an einem Bahnhof erstmals vom Ort Innsmouth und dessen schauerlichen Legenden. Aus Neugier steigt er als einziger Fahrgast in den Bus dorthin ein. In der Nacht fühlt er sich bedroht und beobachtet eine Prozession von Geschöpfen, die nicht menschlicher Natur zu sein scheinen und sich mittels eigenartiger Laute verständigen …

„Der Schatten über Innsmouth“, so heißt eine Kurzgeschichte von H. P. Lovecraft (1890–1937), der als einer der Väter der modernen Horrorliteratur gilt. In seinen besten Storys ist das Grauen unbestimmter, „kosmischer“ Natur. In der Geschichte „Die Farbe aus dem All“ sucht es mit einem Meteo­ri­ten­ein­schlag einen ganzen Landstrich heim – in Form eines leuchtenden, todbringenden Gases.

Schon einige Comiczeichner mit Horror-Affinität haben sich daran versucht, Lovecraft-Geschichten zu adaptieren. US-Horrorspezialist Bernie Wrightson, der Deutsche Reinhard Kleist oder der Niederländer Erik Kriek. Doch indem sie dem Grauen eine Form gaben, wird dieses schon fassbar, verliert an Schrecken oder droht gar lächerlich zu werden. Alberto Breccia hat Lovecrafts Horror am besten visualisiert. Das hängt mit den für Comics ungewöhnlichen Ausdrucksmitteln zusammen, die der 1919 in Uruguay geborene, in Argentinien lebende Zeichner seit den 1960er Jahren entwickelte.

Nun sind – erstmals ins Deutsche übersetzt – dessen sämtliche Lovecraft-Adaptionen in einem Band erschienen. „Love­craft“ ist eine wunderbare Gelegenheit, um einen Zeichner wiederzuentdecken, dessen Werk hierzulande in Vergessenheit zu geraten drohte. Dabei wurde er noch 1992, ein Jahr vor seinem Tod, auf dem Comic­salon in Erlangen für sein Lebenswerk geehrt.

Damals erschienen einige Hauptwerke beim Carlsen Verlag. „Mort Cinder“ nach dem Szenario von Héctor Oesterheld war sein erstes Meisterwerk (entstanden 1962 bis 1964), eine phantastische Serie um einen Unsterblichen, die an Jorge Luis Borges’phantastischen Realismus erinnerte.

Vollkommen auf Worte verzichtete seine „Dracula“-Version (1984), die gar nicht harmlos die Foltermethoden der argentinischen Junta darstellte. Schließlich „Perramus“ (1983–1991, Szenario: Juan Sasturain), zugleich ein surreales Fresko Lateinamerikas wie eine Abrechnung mit den Schrecken der Militärdiktatur in Argentinien. Breccia wurde damals (unter anderem wegen einer Che-Guevara-Adaption) wie viele Künstler von den Militärs bedroht. Sein politisch im Widerstand aktiver Freund Héctor Oesterheld wurde nach 1976 samt seinen vier Töchtern verschleppt und ermordet.

Jahrzehntelang bildete Breccia in selbst gegründeten Kunstschulen Comiczeichner aus. In den 1970er und 1980er Jahren war er durch seine experimentelle Technik einer der herausragenden Erneuerer des Comics, der eine neue Generation von Zeichnern beeinflusste – José Muñoz oder Lorenzo Mattotti etwa – und anspruchsvollen Comicerzählungen und Graphic Novels den Weg ebnete.

„Lovecraft“ ist eine wunderbare Gelegenheit, den großen Zeichner Alberto Breccia wiederzuentdecken

Es ist verdienstvoll, dass der Berliner Avant Verlag sein Werk einer neuen Lesegeneration nahebringt. Letztes Jahr erschien bereits „Eternauta 1969“, Breccias grafisch radikales „Remake“ von Oesterhelds vieldeutiger Science-Fiction-Story aus den 1950ern über die Invasion von Buenos Aires durch Außerirdische. Mit „Lovecraft“ knüpft der Verlag daran an, weitere hierzulande unbekannte Werke dieses Künstlers zu veröffentlichen. Breccia ist vor allem im spanischen wie auch italienischen Sprachraum weiterhin sehr populär. Er gilt dort zu Recht als ein unbestrittener Altmeister des realistisch gezeichneten und ernsthaft erzählenden Comics – auf Augenhöhe mit einem Hugo Pratt („Corto Maltese“), mit dem Breccia zu Beginn seiner Karriere zusammenarbeitete.

Damit zurück zur „Methode Breccia“: Das Szenario der Love­craft-Adaptionen schrieb Norberto Buscaglia. Er kondensierte die Erzählungen auf das Wesentliche, auch wenn die Comics einen hohen Textanteil haben (meist durch Off-Erzähltexte, selten durch Sprechblasen) und somit auf ihre literarische Herkunft verweisen.

Alberto Breccia führt seine Hauptpersonen und -orte meist noch realistisch ein, zielt aber auf Verfremdungseffekte, indem er raffinierte, verschattete Blickwinkel sucht, ausschnitthaft erzählt und große Flächen im Bild weiß lässt. Dabei kombiniert er alle erdenklichen Techniken. Zeichnet hier feine Linien, dort mit grobem Pinselstrich, collagiert Fotos, benutzt besondere Papiere, um glänzende Effekte zu erzeugen. Jedes Bild bekommt so durch Breccias fragmentierte Art des Zeichnens eine Einzigartigkeit. Und doch wirken alle Seiten wie aus einem Guss.

Wenn es dann am Ende der Geschichte zur Kulmination kommt und das „Monster“ sich zeigt, ist es nur ein Schemen. „Ich begriff ziemlich schnell, dass die traditionellen Mittel des Comics nicht ausreichten, um Lovecrafts Universum darzustellen“, wird Breccia im Nachwort zitiert. So gab er den Monstern eine „amorphe Form, weil ich wollte, dass der Leser selbst etwas hinzufügt, meine Gebilde nutzt, um darauf seine eigenen Ängste zu projizieren“. Das ist ­Alberto Breccia in geradezu zeitloser Weise gelungen.

Alberto Breccia: „Lovecraft“. Übersetzung aus dem Spanischen von André Höchemer. Avant Verlag, Berlin 2018, 126 Seiten, 29 Euro