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Leben und Lernen vom Sterben

Ein Ausbau sowohl der ambulanten als auch der stationären Palliativversorgung wird angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Lebenserwartung immer wichtiger. Wer sich in diesem Bereich qualifizieren lässt, hat reichlich Auswahl an Aus- und Weiterbildungsangeboten, an Studiengängen und später an Arbeitsplätzen

Nur eine von vielen Möglichkeiten der Versorgung todkranker Menschen: eine Palliativstation im Krankenhaus Foto: Britta Pedersen/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Der 11. Juli war für das friesische Varel, die kleine Stadt südlich von Wilhelmshaven, ein besonderer Tag. An diesem Tag wurde hier im Haus der Hospiz- und Palliativarbeit „Am Jadebusen“ das „Hospiz am Wattenmeer“ eröffnet, acht Betten groß, für Schwerstkranke und Sterbende. Betreiber ist die gemeinnützige GmbH „mission:lebenshaus“, Bremen. Es ist ihr viertes Hospiz, nach Falkenburg, Jever und Wilhelmshaven.

Hospize sind eine noch junge Entwicklung, genauso wie die gesamte Palliativversorgung. Als 1992 die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz gegründet wurde, heute der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV), ahnte niemand, welche Expansion der jungen Branche bevorstehen sollte.

Immer mehr Ältere

Hauptursache dafür ist der demografische Wandel: Erhöht sich die Lebenserwartung weiter und sinkt die Geburtenrate wie bisher, bleibt der Zuzug Jüngerer durch Migration weiterhin so schwach wie derzeit, verliert Deutschland bis zum Jahr 2060 16 Millionen Einwohner, rechnet das Statistische Bundesamt vor; der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung liegt dann über 50 Prozent. Hinzu kommt: Immer mehr Menschen leben außerhalb familiärer Strukturen; für sie alle muss externe Hilfe bereitstehen, für ein würdiges Sterben.

Tausende Palliativdienste und -einrichtungen gibt es heute, Hunderte Hospize und Palliativstationen in Kliniken. Gründung folgt auf Gründung: ein Zukunftsmarkt. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Fachkräften. Der Hospizbetreiber „mission:lebenshaus“ hat dazu sogar einen eigenen Bildungsträger gegründet, die „hospiz:bildung“.

Die Branche wächst schnell

Er veranstaltet Kurse in „Palliative Care“ unter anderem in Wilhelmshaven, Hannover und Lüneburg, für Externe, aber auch für eigene MitarbeiterInnen. Anfang November richtet er in Jever seinen „3. Hospiz- und Palliativtag“ aus. „Viele Fäden ergeben noch kein Netz“ ist sein Motto und „Gemeinsam neue Wege beschreiten“. 2014 fand der erste dieser Tage statt, 2016 der zweite.

„Die Nachfrage ist immer sehr hoch“, sagt Kim Gesine Friedrichs vom Friedel-Orth-Hospiz in Jever. 100 TeilnehmerInnen werden diesmal erwartet. „Die Zielgruppe sind Fachkräfte aus der Hospiz- und Palliativarbeit, Haupt- wie Ehrenamtliche. Ärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter. Dass die Branche so schnell wächst, macht den Austausch zwischen ambulanter und stationärer Versorgung umso wichtiger“, sagt Friedrichs. Das lässt sich auch an dem berufsbegleitenden Studiengang „Master of Arts (M. A.) Palliative Care“ der Universität Bremen ablesen. Nächster Studienbeginn ist im Wintersemester, und wer besteht, hat am Ende die Berechtigung zur Promotion. Wer Berufserfahrung hat, aber weder Studienabschluss noch Hochschulzugangsberechtigung besitzt, dem steht in Bremen alternativ der Zertifikatsstudiengang „Palliative Care“ offen. Es gibt allerdings eine Hürde: Für den Master beträgt das Teilnahmeentgelt 12.000 Euro, für die Qualifikation zum „Consultant of Palliative Care“ rund 3.500 Euro. „Das stellt für viele Interessierte eine deutliche Hürde dar. Es wäre sinnvoll, die Teilnahme finanziell zu erleichtern“, sagt Susanne Fleckinger vom Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften am Institut für Public Health und Pflegeforschung der Uni Bremen.

„Kommunale Sorgekultur“

Wer mit Fleckinger spricht, hört Worte wie „kommunale Sorgekultur“: „Palliative Care und End-of-Life-Care sind wichtige gesellschaftliche Themen. Es wäre wünschenswert, dass diese Themen im Rahmen der Gesundheits- und Pflegewissenschaften an der Uni Bremen weiter ausgebaut werden“, sagt sie.

Aber es gibt nicht nur universitäre Bildungsangebote. Auch die Hospize selbst vermitteln, was Palliativversorgung ist. Der Verein Hamburger Hospiz e. V. etwa: Dutzende Veranstaltungen richtet er allein dieses Jahr aus – Gesprächsrunden, Seminare, Vorträge wie „Braucht die Würde das Sterben?“ von Traugott Roser, Professor für Praktische Theologie an der Uni Münster. „Und alle sind sehr gut besucht“, sagt Kai Puhlmann, Geschäftsführer des Hamburger Hospiz e. V. und zugleich im Vorstand des Landesverbandes Hospiz- und Palliativarbeit Hamburg e. V. Die Bevölkerungseinstellung gegenüber Sterben und Tod habe sich in den letzten 25 Jahren verändert. „Vorher waren das Tabus. Die sind jetzt aufgebrochen.“

Welthospiztag im Oktober

Mitte Oktober hat Puhlmann besonders viel zu tun. Dann findet der „Welthospiztag“ statt und im Anschluss daran die „Hamburger Hospizwoche“. Dort werden sowohl die hauptamtliche Tätigkeit im medizinisch-pflegerischen Bereich als auch die mitmenschliche Begleitung durch das Ehrenamt thematisiert. „Wichtig ist, immer wieder zu betonen, dass die Hospizbewegung ja eigentlich eine Bürgerbewegung ist. Sie kam nicht von den Kirchen, nicht vom Staat, nicht von der Politik, nicht von Ärzten oder Krankenkassen – es waren engagierte Bürger, die Handlungsbedarf sahen“, sagt Puhlmann.

Zum Thema Palliativversorgung gibt es Kurse über Kurse. Von Anbietern wie dem Institut für berufliche Aus- und Fortbildung in Rendsburg bis zum Institut für Sozialforschung und berufliche Weiterbildung in Neu­strelitz. Aber Kurs ist nicht gleich Kurs: Wer Wert auf einen Lehrplan legt, der dem Geist der ursprünglichen Hospizbewegung Rechnung trägt, in dem Pflege- und Betreuungsqualität sich also nicht nur an ökonomischen Werten orientieren, muss Suchzeit investieren.

Auch, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 1990 schon mehrere Definitionen des Begriffs Palliative Care propagiert hat, irritiert nicht nur auf den ersten Blick – und dass Palliative Care nicht deckungsgleich mit Palliativpflege ist, ganz zu schweigen von all den Unterdisziplinen wie Spiritual Care, oder Advance Care Planning.

Eine palliative Versorgung benötigen Menschen mit schweren Erkrankungen, bei denen eine Heilung nicht mehr möglich ist. Hier steht nicht die Heilung und Lebensverlängerung des Kranken im Vordergrund, sondern der bestmögliche Erhalt der Lebensqualität, Nähe, Zuwendung und die Linderung von Schmerzen und anderen Symptomen.

Zur allgemeinen Palliativversorgung gehört in erster Linie die kontinuierliche Versorgung durch Haus- und Fachärztinnen und -ärzte, Pflegedienste in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und ambulanten Hospizdiensten. Auch stationäre Pflegeeinrichtungen und allgemeine Krankenhäuser gehören dazu.

Zur spezialisierten Palliativversorgung gehören stationäre Hospize, Palliativstationen und seit ihrer Einführung 2007 die spezialisierte ambulante Palliativversorgung.

In Deutschland gibt es rund 1.500 ambulante Einrichtungen, 221 stationäre Hospize für Erwachsene, 14 Kinderhospize und 304 Palliativstationen sowie rund 300 ambulante Palliativpflegedienste (SAPV-Teams).

Ein ganz besonderes Fortbildungsangebot hält Osnabrück bereit – ein Seminar, das neue Auditoren des Gütesiegels „Stationäres Hospiz®“ heranzieht. Zwanzig sind derzeit in der Ausbildung; nach ihrem Abschluss zertifizieren sie Häuser, die betonen wollen, dass in ihnen der klassische Hospizgedanke lebt.

Gütesiegel für Hospize

Projektmanagerin Miriam Püschel, Koordinatorin der Hospiz-Akademie Osnabrück, die das Siegel unter der Leitung des Hospiz- und Palliativverbandes Niedersachsen e. V. (HPVN) mitent­wickelt hat, setzt sich schon seit Langem für das Siegel ein. 2016 schrieb sie in der Fachzeitschrift für Pflegeberufe Die Schwester. Der Pfleger unter „Hospiz-Qualität sichtbar machen“: „Zu erkennen, in welcher Einrichtung die Hospizidee verwurzelt ist, ist für viele Betroffene und deren Zugehörige heute kaum noch möglich. Es fällt immer schwerer, die verschiedenen Einrichtungsformen für sterbende Menschen auseinanderzuhalten und den dahinterliegenden Betreuungsansatz zu erfassen.“Püschels Engagement trägt jetzt Früchte – in jedem neuen Auditor, der fortan mithilft, dem Boom-Markt Struktur zu geben.

Viele Wege der Weiterbildung

Wer sich in Palliativversorgung weiterbilden will, kann also viele Wege gehen. Wer Arzt ist und Interesse am Erwerb der Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“ hat, entscheidet sich vielleicht für den Basiskurs des Braunschweiger Studieninstituts für Gesundheitspflege. Er startet Ende August und widmet sich Themen wie Wahrnehmung und Kommunikation und psychosozialen, spirituellen und ethischen Fragen.

Ähnliche Felder behandelt auch der 12. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) in Bremen vom 5. bis 8. September. Und wer im Moment gerade keine Zeit hat, kann sich ja schon einmal die „8. Internationalen Sylter Palliativtage“ vormerken: Die finden Ende März 2019 statt.