rettung aus dem abseits
: Vergessene Arbeitslose

150.000 geförderten Stellen sieht der Gesetzentwurf aus der Feder von Arbeitsminister Heil vor. Das ist eine humane Wende in der Arbeitspolitik

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BarbaraDribbusch

ist seit 1993 bei der taz. Bei ihrer Arbeit als Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort behandelt sie die Themen „Arm und reich“, Arbeitswelt, Migration, Geschlechterverhältnisse und Glücks­suche. Thematisch bewegt sie sich häufig an der Schnittstelle zwischen Politik und Psychologie.

Herr Schmolinski, zum Beispiel. Alleinstehend, Bandscheibenvorfall, Depressionen, Alkoholprobleme, keine abgeschlossene Ausbildung, eine kurze Phase der Obdachlosigkeit. Der 43-Jährige kann nicht mehr schwer heben oder tragen, hält auch Stress nicht gut aus. Viele Jahre lebte er von Hartz IV. Jetzt ist er beschäftigt als Hausmeister und Bote bei einem gemeinnützigen Träger.

Schmolinski, der in Wirklichkeit anders heißt, ist Teilnehmer des Bundesprogramms „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Das Programm richtet sich an Leute, die zuvor lange von Hartz IV lebten, im Behördenjargon besonders „arbeitsmarktferne“ Langzeitarbeitslose. Es gibt einen Evaluationsbericht dazu, und der ist wichtig für ein ähnliches, größeres Vorhaben, das erst noch kommen soll und zu dem Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kürzlich einen Gesetzentwurf präsentierte.

„Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt“, so lautet der sperrige Titel des neuen Gesetzentwurfs. 150.000 geförderte Stellen sollen damit geschaffen und 4 Milliarden Euro dafür in den nächsten Jahren ausgegeben werden. Der wichtigste Teil des Programms wendet sich an Menschen, die in den acht Jahren zuvor mindestens sieben Jahre lang Hartz bezogen und dabei nicht oder bestenfalls kurzfristig beschäftigt waren (Maßnahmen der Jobcenter ausgenommen).

Noch nie hat sich die Beschäftigungspolitik explizit an solche „arbeitsmarktfernen“ Personen gewandt. Und noch nie war die individuelle Förderdauer so lange: Die TeilnehmerInnen des Programms sollen bis zu fünf Jahre lang eine geförderte, sozialversicherungspflichtige Stelle zum Mindestlohn bekommen, allerdings ohne Arbeitslosenversicherung. Arbeitgeber erhalten Lohnkostenzuschüsse, in den ersten beiden Jahren 100 Prozent, dann jedes Jahr 10 Prozent weniger. Ein weiterer Teil des Programms mit allerdings deutlich weniger Förderung wendet sich an Menschen, die nur mindestens zwei Jahre lang arbeitslos waren.

Das Programm erkennt an, dass es einen „sozialen“, also eine Art zweiten Arbeitsmarkt geben muss, der nicht unbedingt als Endziel den Übergang in eine reguläre Stelle hat. Das ist eine Wende in der Beschäftigungspolitik. Nachdem man in den 90er Jahren schon mal versucht hatte, mit einem zweiten Arbeitsmarkt aus Tausenden von ABM-Stellen die Massenarbeitslosigkeit zu lindern, wurden diese alsbald heruntergefahren. Spätestens mit der Einführung von Hartz IV stand „Qualifikation“ und die „Integration“ in die Privatwirtschaft ganz oben auf der Agenda der Arbeitsmarktpolitik.

Dass das mit der Integration nicht bei jedem klappt, zeigt sich jetzt, wo die Konjunktur gut läuft und die allgemeine Beschäftigungslage akzeptabel ist. Aber sie sind eben immer noch da. Fast 800.000 zu einem Stichtag in 2017 arbeitslos gemeldete Empfänger von Hartz IV beziehen die Leistung schon sieben Jahre und länger, wobei allerdings Erwerbstätige mit ergänzenden Hartz-VI-Leistungen in dieser Zahl enthalten sind. Wie kann das sein? Wollen die Leute nicht oder können sie nicht? Die Antwort lautet: Wer jetzt zu den langjährigen Hartz-IV-BezieherInnen gehört, ohne Nebenjob irgendwo, der hat ein echtes Problem.

Um welche Schicksale es geht, ergibt ein Blick in den eingangs zitierten Evaluationsbericht zu dem bereits laufenden kleineren Bundesprogramm der „Sozialen Teilhabe“, das dem künftigen Programm aus dem Hause Heil in vielen Aspekten ähnlich ist. In den Fallberichten zeigt sich, dass vieleTeilnehmerInnen nicht nur keine verwertbare Ausbildung haben und älter sind, sondern auch unter erheblichen körperlichen Einschränkungen oder seelischen Problemen leiden. Einige erlebten Phasen der Obdachlosigkeit, Alkoholismus, haben Anpassungsprobleme. Bei alleinerziehenden Frauen kommen fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten hinzu oder die Kraft reichte einfach nicht für einen Job neben der Erziehung.

Der gerne propagierte Gedanke, wer wirklich wolle, könne doch zumindest einen „niedrig qualifizierten“ Job ausüben, entspricht eben nicht der Arbeitsrealität. Wer nicht schwer heben kann, fällt für einen Lagerjob aus. Wer Knieprobleme hat, kann nicht als RegalauffüllerIn im Supermarkt oder als Reinigungskraft arbeiten. Wer soziale Ängste hat, hält einen Kneipen- oder Verkaufsjob nicht durch, schon gar nicht 40 Stunden in der Woche.

Noch nie hat sich die Beschäftigungspolitik explizit „arbeitsmarktfernen“ Personen angenommen

Deswegen ist es richtig, dass das neue Beschäftigungsprogramm den Leuten zumindest Teilhabe auf einem „sozialen Arbeitsmarkt“ verspricht. Fünf Jahre lang Beschäftigung bedeutet fünf Jahre lang mehr Lebensqualität, für die Langzeitarbeitslosen, aber auch für deren Kinder zum Beispiel. Ein geförderter Job in Suppenküchen, Schulkantinen, Kulturprojekten, Sozialkaufhäusern oder Recyclinghöfen ist besser, als zu Hause zu sitzen.

Es ist zu erwarten, dass weniger die privaten Arbeitgeber als vielmehr Kommunen und gemeinnützige Träger Stellen im Rahmen des Programms schaffen, das auch ein Coaching für die Erwerbslosen vorsieht und keine 40-Stunden-Woche vorschreibt. Kritik kommt von Gewerkschaften, Verbänden und Arbeitgebern am geplanten Gesetz. Ist der Mindestlohn zu niedrig für die Beschäftigten, müsste Tariflohn gezahlt werden? Wird die Maßnahme zu einer biografischen Endstation? Ist es ungünstig, dass man mindestens sieben Jahre Hartz IV auf dem Buckel haben muss, um die volle Förderung zu bekommen?

Für all diese Bedenken gibt es Für und Wider. Es gibt kein Programm ohne Mängel. Aber wenn die neuen Maßnahmen einen Lichtkegel auf die vergessenen Langzeitarbeitslosen richten, ihnen etwas mehr Lebensqualität bieten, dann wird das trotz aller Kritik ein Schritt sein zu mehr Ehrlichkeit, zu mehr Akzeptanz von besonderen Lebenslagen. Und das ist gut.