Ein zäher Prozess

Bürgerbeteiligung macht Arbeit: Zur Bürgerveranstaltung um die künftige Nutzung des Flughafens Tempelhof kommen nur rund 40 Leute

Bürger­beteiligung: Jede Idee, wirklich jede, ist erst mal willkommen Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Daniel Stoecker

Wer sich auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof nicht auskennt, muss eine Weile suchen, um den unscheinbaren Eingang zur alten Zollgarage zu finden. Schließlich verrät ein Lageplan den Weg: Vom Platz der Luftbrücke aus den Ehrenhof überqueren, vor dem Haupteingang links den Säulengang durch Bauteil G2 passieren, über den Innenhof an der Tanzschule vorbei und in den Bauteil F2.

Bereits das Umherirren um die hohen Fassaden und verschlossenen Türen gibt einen ersten Eindruck dessen, worum an diesem Abend in der Zollgarage geht. „Es ist die größte städtische Immobilie, die wir haben“, begrüßt Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) die Gäste. Die Tempelhof Projekt GmbH, deren Aufsichtsratsvorsitzende Lompscher ist, hat zur Bürgerveranstaltung eingeladen, um über die Zukunft der alten Flughafengebäude zu sprechen.

Etwa 40 Personen sind gekommen. Draußen auf dem ehemaligen Rollfeld liegen zur selben Zeit wahrscheinlich mehrere hundert in der Abendsonne. Seit Ende des Flugbetriebs vor knapp zehn Jahren ist das Tempelhofer Feld zu einem der beliebtesten Parks in Berlin geworden. Seit dem Volksentscheid 2014 schützt es sogar ein eigenes Gesetz. Für die Gebäude hingegen fehlt es noch an einem konkreten Konzept. Das soll sich nun unter Mitarbeit der Stadtgesellschaft ändern.

Mit einer breiten Ideensammlung war das Projekt „Zukunft Flughafen Tempelhof“ bereits im November vergangenen Jahres gestartet. Es konnten Vorschläge und Anliegen für die zukünftige Nutzung der Flughafengebäude eingereicht werden. Anschließend wurde aus Bewerbungen interessierter Bürger*innen ein Gremium gewählt, das nun über ein Jahr lang Leitlinien und Formate für eine konstruktive Bürgerbeteiligung entwickeln soll. „Wir brauchen Offenheit, wir brauchen Transparenz und wir brauchen die Mitwirkung der Stadtgesellschaft“, betont Lompscher in der Zollgarage.

Lediglich 22 Bewerbungen waren eingegangen. Zwölf Menschen wurden für die sechs Mitgliedspositionen und sechs Stellvertretungen gewählt. Eines der Gremiumsmitglieder ist Miron Daniel Jakubczyk. Für ihn ist das Projekt eine Herzensangelegenheit. Der 44-Jährige ist Geschäftsführer der Tanzschule Traumtänzer, die seit 21 Jahren ihre Räumlichkeiten im Inneren der Flughafengebäude hat. Jakubczyk erinnert sich noch an das Ende des Flugbetriebs, daran, wie immer mehr Gewerbe den Standort verließen und die Flächen schließlich leer blieben. „Jetzt wirkt das ganze restliche Gebäude groß und distanziert“, klagt er, „wenn man tagsüber hier ist, ist es wirklich traurig.“

Jakubczyk will wieder Leben ins Areal bringen. Auch deshalb habe er sich für das Gremium beworben. Die Pläne der Senatsverwaltung, aus dem ehemaligen Flughafen einen offenen Ort für die Menschen zu machen, seien auch für ihn ein neuer Impuls gewesen. „Man macht sich gar keine Gedanken über die Größenordnung dieses Gebäudes und was für Möglichkeiten da sind, das ist schon spannend.“

Der Prozess ist umfangreich: erst die Ideensammlung, nun das Gremium und im nächsten Jahr die Bürgerbeteiligung. Alle sollen die Möglichkeit haben, sich einzubringen, jeder Schritt gemeinsam getan werden. Mit dem Gremium startet nun ­gewissermaßen eine kleine Bürgerbeteiligung, die die spätere, große Bürgerbeteiligung plant.

Doch so sorgfältig wie der Prozess ist, so zeitaufwändig ist er auch. Erst ab September 2019 wird es zusammen mit der Stadtgesellschaft um die konkreten Fragen gehen. Was geschieht mit welchem Gebäudeteil? Welche Flächen werden offen zugänglich und zu welchen Zwecken? Welche Mietparteien und Gewerbe werden kommen? Und dann ist da noch die Frage der Wirtschaftlichkeit. „Wir können ganz viele Ideen sammeln, wir können ganz viel machen“, erklärt Sabine Slapa, Geschäftsführerin des Stadtentwicklungsbüros Raumplaner, das die Gremiumsarbeit koordiniert, „aber es muss natürlich auch wirtschaftlich getragen werden.“

Online wirbt das Projekt mit dem Ziel, den ehemaligen Flughafen zu Berlins neuem Stadtquartier der Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft zu machen. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Denn selbst, wenn in den kommenden Jahren ein Konzept erarbeitet wird, so muss es auch umgesetzt werden. Aktuell sind die Gebäude nicht saniert und stehen außerdem unter Denkmalschutz, der bei baulichen Maßnahmen berücksichtigt werden muss. „Wenn wir an einer Ecke fertig sind, fangen wir an einer anderen wieder an“, warnt Lompscher daher vorsichtig, „es ist ein permanenter Prozess des Umbauens, des Reparierens, des Nutzens – der positiven Erfahrungen und der Enttäuschung.“

Im Fall Tempelhof soll es auch deshalb von Beginn an transparent zugehen. Das Gremium, in dem neben Berliner Bürger*innen unter anderem auch Mitglieder der Senatsverwaltung und der Tempelhof Projekt GmbH sitzen, soll eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Politik und Stadtgesellschaft organisieren. Nach dem Blankenburg-Debakel wird ein Schwerpunkt dabei sicher auch die Kommunikation zwischen Verwaltung und Öffentlichkeit sein.

Darin sieht auch Anne Schmidt ihre Stärken. Wie Jakubczyk wurde sie für das Gremium ausgewählt. Als Ausstellungsmacherin mit großem Interesse an sozial nachhaltiger Stadtgestaltung hat die 38-Jährige bereits Erfahrung im Vermitteln komplexer Themen an Nichtexpert*innen. Zwar kennt sie die Kritik an Beteiligungsprozessen, doch die Teilnahme daran ist für sie auch ein demokratischer Akt. „Man macht sich das manchmal gar nicht bewusst, dass wir heute die Zukunft gestalten und dafür die Verantwortung tragen.“

Doch so sorgfältig wie der Prozess ist, so zeitaufwändig ist er auch

Sie geht daher optimistisch an den bevorstehenden Prozess heran. „Ich habe großes Vertrauen in die Ideen der Bürger und darin, diese sichtbar zu machen“, erklärt Schmidt, „sonst wäre ich nicht hier.“ Wichtig sei es ihr zudem, allen Menschen diese Partizipation zu ermöglichen, ohne einige von vornherein auszuschließen. Das beginne schon bei der Organisation der Veranstaltungen. Wenn diese tagsüber stattfänden, könnten beispielsweise Berufstätige gar nicht erst teilnehmen.

Während Schmidt spricht, beginnt hinter ihr bereits die Gruppenarbeit der Veranstaltung. Die Beteiligung aller an dem Prozess ist hier Thema. Denn auch wenn bei der Auswahl der Gremiumsmitglieder auf Vielfalt geachtet wurde, so sind längst nicht alle Interessensgruppen vertreten. Dies müsse in der Bürgerbeteiligung anders laufen, mahnt daher eine Frau. Sie weist darauf hin, dass sich im Gremium kein einziger Mensch im Rollstuhl befinde, Barrierefreiheit aber trotzdem ein wichtiges Thema in der Planung sein müsse. Breite Zustimmung, nicken, Applaus.

Allen Beteiligten ist ihre Motivation anzumerken und die Zollgarage bietet dazu ein passendes Ambiente: Stahlträger, Kabel und Rohre an der Decke, Leuchtröhren an metallenen Ketten – die Szenerie erinnert an Umbau, an Aufbruch. „Jeder, der eine Idee hat, auch wenn sie erst mal komplett absurd ist, soll mitmachen“, betont Gremiumsmitglied Jakubczyk freudig. Es sei in seinen Augen nicht Aufgabe der Verwaltung, kreativ zu sein. Er setze vielmehr auf die Ideen und den Mut der teilnehmenden Bürger*innen.

Gegen Ende der Veranstaltung wird deutlich, dass sich der Planungsprozess noch am Anfang befindet. Vorschläge können ohne konkrete Fragen der Realisierbarkeit und Finanzierung in den Raum geworfen werden. Diskussionen entstehen kaum, die Beiträge der wenigen verbliebenen Gäste scheinen uneingeschränkt willkommen. Nur hin und wieder werden sanfte Warnung vorgebracht: Man werde sich an den Denkmalschutz des Gebäudes halten müssen, es müsse einen realistischen Finanzierungsplan geben, einige Bauteile seien bereits an die Polizei vermietet, andere würden seit Jahren für regelmäßige Veranstaltungen genutzt.

Wie jeder Beteiligungsprozess beginnt auch die Zukunft des Tempelhofer Flughafens mit wagen Ideen und Wunschvorstellungen vieler. Raum für Kunst, Platz für Start-ups und günstige Mieten: inklusiv, kreativ und hip. Doch wie erfolgreich der Prozess wirklich ist, wird sich erst am Ende zeigen, wenn all die Wünsche von der finanziellen, politischen, sozialen und zeitlichen Realität geerdet wurden.