Historiker Malte Thießen über Bomben-Gedenken: „Von links wird schärfer geschossen“

75 Jahre nach dem Hamburger Feuersturm erinnert sich die Stadt an das Leid der Bevölkerung – aber auch an das derer, die unter den HamburgerInnen gelitten haben.

Der Blick zurück ist nicht immer einfach: Trümmerkind in Hamburg. Foto: dpa

taz: Herr Thießen, der Schriftsteller W.G. Sebald sagte, man könne sich mit Themen wie dem Feuersturm nicht lange beschäftigen, „ohne Schaden zu nehmen“. Wie ist Ihnen das bei Ihrer Arbeit zum Hamburger Gedenken daran gegangen?

Malte Thießen: Ich bin im Lauf der Arbeit immer stärker auf Erzählungen und vor allem Fotos gekommen, die Probleme aufwerfen. Ich denke insbesondere an die Fotos von verbrannten Kindern, die einen sprachlos zurücklassen und diese Kategorien, mit denen man Erinnerungen sonst einordnet – reines Opfergedenken oder Gedenken an die NS-Zeit – brüchig machen. Man startet, wenn man sich mit der Erinnerungskultur des Bombenkriegs beschäftigt, eher mit einem kritischen Impuls.

Gegen das Reinwaschen?

Reinwaschen, sich nur in den Opfererzählungen ergehen, die Opfer aufrechnen. Das gibt es auch – aber nicht nur. Hamburg ist sehr viel vielfältiger in seiner Erinnerung als man das so glaubt. Das ist das Interessante an dem Erinnerungsort Bombenkrieg: dass man es nicht in einfachen Geschichten auflösen kann, sondern diese Widersprüchlichkeit und Vielfalt erinnern muss.

44, leitet das LWL-Institut für westfälische Geschichte in Münster. In seiner Promotion hat er sich mit Hamburgs Gedenken an Luftkrieg und Kriegsende 1943 bis 2005 beschäftigt.

War diese Vielfalt in der Erinnerungskultur von Anfang an in Hamburg vorhanden?

Wenn man die 75 Jahre des Erinnerns ganz grob überblicken will, dann kann man vier große Erzählungen ausmachen. Die erste ist die von der Schicksalsgemeinschaft, das fängt schon in der NS-Zeit an, mit dem Ziel, den Durchhaltewillen der Hamburger zu stärken. Ab den späten 40er Jahren gibt es ganz stark das Gedenken an den Wiederaufbaumythos, um die Helden des Wiederaufbaus – es sind nie die Heldinnen – zu feiern. Auch da in einer sehr problematischen Intention, man erinnert an die Leistung, nicht an die Opfer, an die Opfer der NS-Zeit schon gar nicht.

man ist jetzt wieder Akteur…

.… genau, und die NS-Zeit wird zu einem dunklen Kapitel, das man durch den Wiederaufbau überwunden hat. In den 80er Jahren gibt es eine dritte Erzählung, das ist der Bombenkrieg als Warnung: Nie wieder Krieg. Da werden die Grauen des Bombenkriegs auch im linken Spektrum sehr intensiv erinnert, um vor dem atomaren Holocaust, wie es damals heißt, zu warnen. Ab den 90er Jahren wird der Bombenkrieg genutzt, um an die ganze Geschichte des Dritten Reichs zu erinnern.

Wer kommt damit hinzu?

Die Stadt setzt sich etwa mit den KZ-Häftlingen auseinander, die die Leichen und Trümmer räumen mussten, aber auch mit den zahlreichen Zwangs- und Fremdarbeitern, von denen eine sehr hohe Zahl unter den Bombenopfern war, weil sie nicht in die Schutzräume durften.

In dieser Abfolge klingt der Erinnerungsdiskurs eher homogen.

Natürlich ist das schon von Anfang an gebrochener und vielfältiger, und auch differenzierter. Es gibt zum Beispiel schon Ende der 40er Jahre einen Versöhnungsgottesdienst zwischen Deutschen und Briten, was ich ziemlich erstaunlich finde. Und als 1952 das Ehrenmal auf dem Ohlsdorfer Friedhof mit einem großen Staatsakt eingeweiht wird, erinnert Bürgermeister Max Brauer daran, dass vor Hamburg die Angriffe der Deutschen auf Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry stattgefunden haben. Er weist auch auf die Opfer vor 1943 hin, nämlich die jüdischen Hamburger, die vertrieben wurden, auf die vielen, die ausgegrenzt wurden.

Wie kontrovers war die Frage des Erinnerns in Hamburg?

Meinem Eindruck nach ist die Deutung bis in die 80er, 90er Jahre ziemlich unumstritten. Der Bombenkrieg stößt im gesamten politischen Spektrum auf Interesse; die Springer-Presse bringt immer wieder Serien zum Thema, aber auch die Morgenpost, die ja lange noch ein sozialdemokratisches Blatt war, ist da genauso engagiert. Ab den 90er Jahren geht der Streit los.

Wie kommt es dazu?

Durch die Differenzierung und Erweiterung des Geschichtsbildes: Es wird nicht mehr nur der Bombenkrieg erinnert, sondern die ganze Geschichte des Dritten Reichs. Die Zeitzeugen sehen damit ihre Opfergeschichten nicht mehr richtig repräsentiert in der öffentlichen Erinnerung und fangen an zu diskutieren, dass zivile Opfer schlimmer seien als Kriegsopfer. Aber auch von links wird schärfer geschossen. Eine Gruppe von Antideutschen stürmt einen Gedenkgottesdienst im Michel und spannt ein Banner über den Altar: „Aktion Gomorrha – es gibt nichts zu trauern“.

Klingt nicht unbedingt wie ein Gesprächsangebot.

Ich habe mit einigen dieser Aktivisten gesprochen und es ging ihnen weniger darum, das Leid der Opfer nicht anzuerkennen, sondern sie hatten Angst vor einem neuen Nationalismus. Die Erinnerung an den Bombenkrieg wird da aufgeladen zum Symbol eines revanchistischen Gedenkens. Das wird problematisiert in der Linken, aber auch in der SPD und bei den Grünen sowieso. Dagegen wehren sich die Zeitzeugen und die CDU, die eine Vernachlässigung der Opfer behauptet. Da geht es los mit all den Debatten, die wir bis heute haben, mit dem Tabu-Vorwurf, das Leid der Opfer würde verschwiegen.

Wurde es verschwiegen?

Der Vorwurf ist nicht haltbar. In Hamburg – und allen deutschen Städten, die von Bombardierung betroffen waren – war es das zentrale Ereignis, an das immer wieder erinnert wurde. Es gibt kein Ereignis, das im Hamburger Raum so viele Denkmäler hat, wie der Bombenkrieg.

Warum waren die ZeitzeugInnen 1993 in Hamburg dennoch davon überzeugt, nicht gehört zu werden?

Weil der Bombenkrieg nicht mehr allein für sich erinnert wurde. Man hat die Bombenopfer im Blick und schmälert deren Leid um kein Gramm, aber zeigt gleichzeitig die anderen Opfer und dass beides zusammenhängt. Das ist aber etwas, was in der subjektiven Erinnerung von Zeitzeugen auch kritisch gesehen wird – nicht von allen, es gibt sehr viele, die das sehr differenziert sehen, aber die anderen melden sich gern zu Wort.

Muss man sich vor einem teleologischen Blick auf Erinnerung hüten, der Idee, irgendwann das für immer richtige Maß gefunden zu haben?

Das Problem ist, dass Erinnerung immer teleologisch ist, es ist Sinnstiftung in der Gegenwart. Ich würde von Gegenwarts-, nicht von Vergangenheitsbewältigung sprechen. Es wäre ein schöner Lerneffekt, wenn man anerkennt, dass Erinnerung keine Wahrheit ist, sondern der Modus, in dem wir uns Auskunft über uns selbst geben. Und das wird immer wieder neu verhandelt. Wenn wir so weit sind, dass eine Erinnerungskultur für diese unterschiedlichen Erinnerungen offen ist und das immer wieder in ein Forum und einen Austausch bringt, dann haben wir für unsere Gesellschaft viel gewonnen. Man lässt Dinge nebeneinander stehen.

Zum Beispiel?

Es gibt etwa diese berühmten Tiefflieger-Erinnerung. Wir haben in einem Projekt 150 Zeitzeugen befragt und davon haben vier, fünf auch solche Tiefflieger-Geschichten erzählt. Man kann nachweisen, dass es 1943 technisch nicht möglich war, mit Tieffliegern nach Hamburg zu kommen und trotzdem glauben ein paar Zeitzeugen das.

Wozu dient diese selbst geschaffene Erinnerung?

Sie können damit den Luftkrieg in eine Form gießen. Die unterschiedslosen Massenbombardements nicht, das anonyme Massensterben, Massenbombardement, das so gewollt ist, ist für viele eitzeugen schwer aushaltbar. Mit den Tieffliegerangriffen verbinden sie eine Art erklärbar ist, erhält so einen Sinn, so erstaunlich das klingt. Mann gegen Mann Kriegslogik. So wird der Bombenkrieg personalisiert.

Verbinden die ZeugInnen damit eine Botschaft, etwa eine Mahnung gegen den Krieg, oder geht es um ein reines Zeugnis dessen, was sie erlebt haben?

Es gibt beides. Das eine ist der persönliche Erzähldruck, dass wirklich schlimme Dinge erlebt wurden, vor allem, wenn nahe Familienangehörige gestorben sind. Sehr viel häufiger ist es, dass die Zeitzeugen nicht das erste Mal berichten, deshalb sind fast alle mit einer oder mehreren Botschaften dabei. Eine sehr häufige ist: Nie wieder Krieg. Ich finde das ein sehr positives Signal. Man könnte ja auch, wie man es in Dresden häufiger spürt, Hass auf die Briten oder Amerikaner zeigen oder die Deutschen als Opfer in einer Sonderrolle sieht. In Hamburg haben wir oft eine Parallelisierung des Leides von 1943 mit dem Krieg im Irak und in Syrien erlebt. Und daraus die Botschaft formulieren: Unsere Erinnerungen sind wichtig und haben auch einen Sinn, denn wir sind die verkörperte Mahnung: nie wieder Krieg.

Bei anderen Botschaften hat man stärker den Eindruck einer Instrumentalisierung. Wenn Helmut Schmidt 1993 die Gedenkfeier zur Rechtfertigung des Nato-Doppelbeschlusses nutzt, schluckt man ein bisschen.

Das war schon kess.

Oder Henning Voscherau, früherer Bürgermeister, der den Bombenkrieg einmal als Voraussetzung für die Befreiung von Nazi-Deutschland deutet und einmal die Auslöschung der roten Arbeiterquartiere betont.

Bei Politikern ist diese Unterschiedlichkeit auch mit einer berufsbedingten Flexibilität zu erklären.

Flexibilität ist ein schönes Wort dafür.

Bei Schmidt ist es auch ein vornehmes. Beide verbinden ihre Kindheit mit dem Krieg, aber sie sind natürlich Profis. Sie wissen, dass sie 1993 einen bestimmten Sound treffen müssen. Voscherau will die rechtsextremen Überfälle brandmarken und vor einem neuen Nationalismus warnen. 2003 ist der Kontext ein ganz anderer: da geht es um die Warnung vor einer Beteiligung am Irak-Krieg und da ergibt eine andere Erinnerung Sinn.

Insofern genügen die Politiker Ihrer These, dass das Geschäft der Erinnerung immer mit Gegenwart und Zukunft beschäftigt ist und daher nicht statisch.

Ich würde meine Dissertation heute anders schreiben. Wenn ich es heute lese, merke ich stellenweise schon: so ganz wertfrei ist das nicht. Ich versuche die Erinnerung aus ihrer Zeit heraus zu erklären, aber manchmal ist da schon ein Zungenschlag zu spüren, gerade bei CDU-Positionen. Es ist das, was ich versuche als Lerneffekt aus meiner Dissertation mitzunehmen: diese ständige Veränderung von Erinnerung, die in jeder Zeit anders funktioniert und uns sagt: es gibt keine richtige Erinnerung. Und wenn man als Wissenschaftler etwas fordern könnte, dann wäre es diese Pluralität von Erinnerung.

Sie haben die Hamburger mit der Dresdner Erinnerungskultur verglichen – zum Nachteil der Dresdner. Unterscheiden Sie damit nicht doch zwischen guter und schlechter Erinnerung?

Ich würde es auch tatsächlich so sehen, ohne damit den Dresdners Unrecht tun zu wollen. Dresden hat das Glück oder Pech, dass die Erinnerung an das Bombardement schon unter den Nazis und dann in der DDR stark instrumentalisiert wird und zwar auf nationaler Ebene. Dresden ist der Ort, um im Kalten Krieg gegen die Amis und die Briten zu hetzen. In Hamburg ist das anders.

Warum?

Da sind die Briten, die die Bomben geworfen haben, Verbündete. Und Hamburg geht es schnell besser als Dresden – so dass man sich eine andere Erinnerungskultur leisten kann, vielleicht auch dazu gezwungen ist. Und, auch wenn ich nicht von einer Diktatur in der DDR sprechen würde, gibt es doch eine andere Art der Meinungsbildung in Hamburg. Auch da ist nicht alles Gold, es gibt Meinungsführerschaften und Probleme in der Presselandschaft, aber trotzdem ist es eine offenere Form der Erinnerungskultur, in die auch kritische Stimmen Eingang finden.

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