Mannwerden in Manhattan

Friedrich Christian Delius kommt mit seinem Free-Jazz-Entwicklungsroman nach Hannover

Von Alexander Diehl

Über Musik zu reden – also auch zu schreiben –, das sei, wie zu Architektur zu tanzen: Stammt dieses zäh sich haltende Bonmot nun vom Musik-Clown Frank Zappa, vom zwischenzeitlich hauptsächlich musizierenden Komiker Steve Martin oder doch von dessen hierzulande mäßig bekanntem Kollegen Martin Mull? Unwichtig. Dass über Musik nur unbeholfen zu sprechen und zu schreiben sei, das klingt nach einem Einwand gegen ein Unsinnliches, zu sehr auf den Kopf Zielendes, wo doch die Musik den umgehe – unmittelbar ins Herz. Eine zutiefst romantische Vorstellung.

Aus dem gern als Heimat der Romantik sich fühlenden Deutschland – und da auch noch aus mutmaßlich wandertauglicher hessischer Provinz – gerät 1966 ein junger Mann in ein Konzert des Jazzsaxofonisten Albert Ayler; in dem Jahr also, das für den Poptheoretiker Jon Savage bedeutender war als die darauf folgenden, um die gerade so viel Aufhebens gemacht wurde. Dass die Lesung des jungen Mannes von damals im hannöverschen Literaturhaus nun ausdrücklich Teile einer Reihe ist, die sich dem Jahr 1968 widmet: auch unwichtig.

Es war eine schwache Form von peer pressure, die Friedrich Christian Delius 1966 in „Slugs’Saloon“ brachte, in die aller­loweste East Side von Manhattan, nicht ein Interesse an der Zukunft irgendwessen. Es ist ja auch nie so recht zur Gegenwart geworden, nur unter anderem, weil Ayler nicht alt wurde; 1970 fischte man seinen Leichnam aus dem East River, mit Mitte 30. Seine Idee von Jazz aber, die zeitweise radikalste unter den freien, so gequält, so durchdrungen von Sehnsucht nach, tja, Sinn – das war nie ein Erfolgsmodell. Und schön auch nur im Sinne einer Idee, nicht als Beschreibung.

Und doch: „Die Zukunft der Schönheit“ hat Delius seinen kleinen „Entwicklungsroman in Länge eines Free-Jazz-Konzerts“ betitelt (Rowohlt Berlin, 96 S., 16 Euro): Um Musik geht es darin, klar, aber nur unter anderem; mindestens so sehr ums Mannsein und -werden, überhaupt: Vaterkonflikte oder die Ermordung John F. Kennedys. Aber wie Delius schreibt über diesen Sound der Einsamkeit des modernen Menschen; über diese Musik, die so formlos erscheint, ja: längst nicht jedem überhaupt als Musik – das dürfte zu den gelungensten Versuchen gehören.

Do, 16. 8., 19.30 Uhr, Hannover, Literaturhaus