Debatte Hitze und Gerechtigkeit: Im postkolonialen Treibhaus

Die Erderwärmung ist ein Gerechtigkeitsthema – die Täterschaft ist weiß. Wir brauchen unbedingt eine Vision vom Teilen im globalen Maßstab.

Zwei Radler fahren durch einen Park. Das Gras ist vertrocknet

Hat schon etwas Alttestamentarisches: Hitze und verdorrte Wiesen, wie hier in Frankfurt am Main Foto: dpa

Viele spüren in diesem endlos langen Sommer erstmals die Angst. Es ist die Angst, die Grundlagen unseres Lebens könnten sich auf eine Weise ändern, die wir für die nähere Zukunft keineswegs in Betracht gezogen hatten. Mit stummer Gewalt hat der Klimawandel unsere Vorgärten betreten, ein ungebetener Gast, der sich das Recht auf dauerhaften Aufenthalt durch einen Tritt gegen den Gartenzaun genommen hat.

Dass die Hitze gerade in diesem Sommer derart auf den Plan tritt, auf unsere schlechten Pläne, hat etwas Alttestamentarisches. Als reckte sich eine rächende Faust aus der Sonne, weil wir nicht dafür gesorgt haben, dass sich die Wasser des Meeres für Bedürftige teilten, und weil wir Seebrücken nur aus luftigen Metaphern bauen.

Schlichter und glaubensfern formuliert: Dieser Sommer hält eine Botschaft bereit, nicht nur in Gestalt eines ökologischen Alarmsignals, sondern als eine Hilfe zur Selbsterkenntnis. Zur Erkenntnis, was wir sind und haben, und wie wir sein müssten, um es zu bewahren.

Niemand hungert in diesem Land, wenn tonnenweise toter Fisch aus Gewässern geschaufelt wird. Niemanden dürstet, wenn Seen in sich zusammensacken, und keine Familie wird aus­ein­andergerissen, wenn Wälder brennen. Wirklich knapp werden nur die Plätze in Freibädern, und deswegen lagen manchen bereits die Nerven blank. Polizei wurde gerufen, um etwas zu bekämpfen, was wir vielleicht später, wenn es richtig ernst wird, Hitze-Riots nennen werden.

In einem überfüllten Bus, dessen Lüftung nicht funktionierte, waren die erregt Schwitzenden kaum mehr bereit, gegenüber den Schwächsten Rücksicht walten zu lassen; jeder war sich nur noch selbst der Nächste. Eine solche Szene enthält einen mikroskopischen Teil der Botschaft dieses Sommers, und ich würde mir wünschen, dass viele sie verstehen. (Man muss dafür gar nicht so derb sein und den Bus der fehlenden Rücksicht mit einem Schlauchboot auf hoher See vergleichen.)

Es bedarf nur weniger Grade permanenter Erwärmung, und alles, was wir als haltbar und belastbar erachten, kann im Nu zerschellen – auch der zivilisatorische Grund, auf dem wir zu stehen glauben. Wer sich in diesem Sommer von der Angst um die Grundlagen unseres Lebens berühren lässt, mag besser nachvollziehen können, wie es passiert, dass Menschen zu Flüchtlingen werden, ohne die Kategorien nördlicher Weltbetrachtung passgenau erfüllen zu können. Klimawandel kann ein Grund zur Flucht sein, obwohl die Geflüchteten keinen Nachweis erbringen können, von der Sonne individuell verfolgt zu werden.

Zwischen dem sogenannten Wirtschaftsflüchtling einerseits und dem klassisch-politisch Verfolgten andererseits klafft etwas großes Namenloses: all jenes kollektive Schicksal, das aus globalem Unrecht resultiert.

Überschrittene Grenzen

Es bedarf nur weniger Grade Erwärmung, und alles, was wir als belastbar erachten, kann im Nu zerschellen

Die Erderwärmung ist ein Gerechtigkeitsthema, denn es handelt sich hier wohl vor allem um weiße Täterschaft – der Klimawandel hat eine unverkennbar postkoloniale Note. Der Hinweis, was sich durch Chinas Aufstieg ändert, kann nicht davon ablenken, dass für das bereits Geschehene die alten Industriestaaten eine ungleich große Verantwortung tragen.

Wir haben schon lange die Grenze dessen überschritten, was uns zusteht. Solange wir diesen Umstand nicht anerkennen und zur Grundlage aller Überlegungen machen, wie wir mit den physischen, geografischen Grenzübertritten anderer umgehen, werden wir keine rationale Haltung zur Migration finden können. Man kann nicht oft genug unterstreichen, dass es hier um Ratio geht, um das Anerkennen von Fakten und um die Konsequenzen aus dieser Anerkennung.

Die gegenwärtige Konfrontation mit dem Rechtspopulismus ist unter diesem Gesichtspunkt eine tragische Verschwendung von Zeit und Energie – der Zwang, Umwege einzuschlagen, die wir uns objektiv nicht leisten können. Und es ist ja kein Zufall, dass viele Rechtsautoritäre den Klimawandel ebenso leugnen wie die Notwendigkeit einer zukunftstauglichen Migrationspolitik. Sie versichern ihrer Klientel, es gäbe so etwas wie ein weißes Recht auf Nicht-Zurkenntnisnahme des Offensichtlichen.

Wie wenig wir als eine nördliche oder westliche, jedenfalls wohlhabende Gesellschaft auf der Höhe der globalen Herausforderung sind, beweisen die disparaten emotionalen Erhitzungen dieser Tage: Der Jahrtausendsommer ist unser Sommer der Debatte über den mangelnden Respekt untereinander. Denn um nichts anderes handelt es sich beim Alltagsrassismus, wenn er die gebildeten und arrivierten Migranten trifft, die sich nun in großer Zahl bei #MeTwo äußern. Einem Teil der Bewohner unserer sich erwärmenden Hemisphäre wird Respekt verweigert, weil sie keine Ureinwohner aus kalten, grauen Vorzeiten sind.

Begrenzte Reichweite

Wer hierzulande als eine Person of color gegen Rassismus kämpft, mag leicht vergessen, dass er oder sie aufgrund der Beteiligung an der hiesigen Wirtschafts- und Lebensweise zugleich Teil einer globalen weißen Täterschaft ist. Wer die Dinge derart zusammendenkt, sieht: Reinweg aus individueller Betroffenheit (oder Opferschaft) Politik abzuleiten, ist ein Ansatz von begrenzter Reichweite.

Wir brauchen eine Vision von Respekt und von Teilen im globalen Maßstab; es muss die Vision eines machbaren Teilens sein, das prinzipiell akzeptabel ist – was heißt: Jene, die sich dennoch widersetzen, sollten möglichst wenige Gründe finden, in Faschismus zu verfallen. Nur durch ein solches Teilen finden wir Antworten auf die Angst, die in diesen Monaten ihre Hand auf unsere Schultern gelegt hat.

Wenn es gelänge, eine Vision globaler Gerechtigkeit mit dem Kampf gegen einheimische Armut und deutsches Lohndumping zu verbinden, wäre dies eine Bewegung des „Aufstehens“ auf der Höhe der Zeit. Der Versuch, Gerechtigkeit national zu definieren, kann nicht gelingen. Das könnte man am Ende dieses Sommers wirklich wissen.

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