Lehrermangel zum Schulstart: „Unterrichten muss gelernt werden“

Quereinsteiger sollten auf die Schulen verteilt werden, fordert Karoline Pocko Moukoury, Leiterin der Sonnen-Grundschule in Neukölln.

Junge mit Schultüte von hinten

Am Montag geht die Schule wieder los. Die Erstklässler werden am folgenden Samstag eingeschult Foto: dpa

taz: Frau Pocko Moukoury, Sie halten am Freitag eine Mahnwache vor der Bildungsverwaltung ab. Warum?

Karoline Pocko Moukoury: Es gibt eine Chancenungleichheit im Bildungssystem, die muss benannt und verändert werden. Wir haben viele Kinder an unserer Schule, die mehrsprachig aufwachsen. Das ist ein riesiges Potenzial, die Kinder müssten eigentlich in jeder ihrer Sprachen gefördert werden. Das geht aber wegen des Lehrermangels nicht.

Sie fordern von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mehr Personal?

Es gibt zu wenig Lehrer, deshalb ist es schwierig, das zu fordern. Meinem Kollegium und mir ist aber wichtig, dass die nächsten, die fertig werden, unbedingt auch zu uns an die Schule müssen. Wir vergeben sonst ein riesiges Potenzial.

Das ist sehr positiv formuliert. Ihre Schule liegt in einem der ärmsten Teile Neuköllns. Im April haben Sie in einem Brandbrief an die Bildungssenatorin deshalb über Überlastung geklagt.

Die Kollegen, die hier arbeiten, sind unglaublich engagiert. Wir tun viel, um für unsere Kinder ein positives Vorbild zu sein. Dafür brauchen wir aber mehr Lehrer, die das können. An unserer Schule gibt es zu 50 Prozent ausgebildete Lehrer, die anderen 50 Prozent sind Quereinsteiger, Lehrer ohne volle Lehrbefähigung oder Studierende. Alle versuchen wirklich ihr Bestes. Das Problem ist aber, dass Menschen in Ausbildung Unterstützung brauchen.

Welche?

Sie brauchen Anleitung, um den Unterricht vorzubereiten und durchzuführen, um auf die Schwächen und Stärken der Kinder einzugehen. Wir haben Kinder mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Andere haben körperlich-motorische Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Mit der Inklusion ist jedes Kind willkommen. Dafür brauche ich aber das Personal. Die nächsten Lehrer, die fertig werden, sollten zu uns, weil bei uns besonders viele bedürftige Kinder sind.

54, ist Schulleiterin an der Sonnen-Grundschule am Dammweg in Neukölln.

Haben Sie zum neuen Schuljahr alle Lehrerstellen besetzen können?

Zwei Stellen sind noch offen. Wir haben mehrere neu eingestellte Kollegen: drei weitere Quereinsteiger, zwei Lehrer ohne volle Lehrbefähigung und zwei Studentinnen.

Keinen einzigen ausgebildeten Lehrer?

Nein.

Weil sich bei Ihnen wegen der sozialen Probleme niemand bewirbt?

Das ist die Frage. Mir wurde gesagt: Wenn die Schule so negativ in der Presse erscheint, sei es kein Wunder, dass niemand zu uns wolle. Aber bei uns hat sich auch vor dem Brandbrief niemand beworben. Jeder, der an eine Schule wie unsere kommt, muss sich den Herausforderungen und der kulturellen Vielfalt gewachsen fühlen. Man muss schon Lust darauf haben.

Könnte Frau Scheeres die fertigen Lehrer denn überhaupt Ihrer Schule zuweisen?

Dadurch, dass die Lehrer angestellt und nicht mehr verbeamtet sind, können sie sich aussuchen, wo sie hingehen. Wir wollen, dass das anders wird, wir wünschen uns eine Zuweisung der fertigen Lehrerinnen. Das würde eine Gleichberechtigung der Bezirke und der Schulen bedeuten, weil es dann keine Schulen mehr geben würde nur mit Quereinsteigern, andere ganz ohne. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Viele Quereinsteiger sind wirklich geeignet für den Job. Aber alles muss gelernt werden.

Hat sich nach Ihrem Brandbrief irgendwas verändert?

Die Quereinsteiger bekommen jetzt eine Woche Crashkurs vor dem Unterricht, das ist schon mal besser. Wir haben eine pensionierte Kollegin, die mehrere Quereinsteiger unterstützen soll. Es gab durchaus Bemühungen auch aus der Verwaltung, aber die Situation hat sich nicht grundsätzlich geändert. Deshalb machen wir ja die Mahnwache.

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