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: Polizei als Kunstvermittler

Eine goldene Erdoğan-Statue wird von einem Kunstfestival ohne Erklärung mitten in Wiesbadens migrantisch geprägtem Westend ausgesetzt – und von der Polizei wieder weggetragen

Wo Erdoğan auftaucht, gibt es Stress. Diese Annahme bestätigte sich erneut am Montagabend in Wiesbaden. Im Rahmen der seit letzter Woche dort laufenden Biennale wurde eine vier Meter hohe goldene Statue des türkischen Präsidenten auf dem Platz der Deutschen Einheit aufgestellt. Während zu Beginn einige fragende Gesichter auf eine verpackte Statue, die ihren rechten Arm in die Luft hebt, blickten, versammelten sich nach der Enthüllung immer mehr Menschen auf dem Platz und diskutierten.

Ein Schild über den Zusammenhang zwischen der Abbildung Erdoğans und der Biennale blieb aus. Die Kunstvermittlung wurde der Polizei überlassen, die am späten Montagabend aus dem nahe gelegenen Revier herüberlief, um verwirrte Bürger*innen über das Festival und die Kunstfreiheit aufzuklären. Noch bis in die Nacht diskutierten und stritten sich vor allem Anwohner*innen.

Am Dienstag versammeln sich noch mehr Menschen am Platz. Auffällig ist, dass mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund diskutieren, was in der Gegend Wiesbaden-Westend nicht verwunderlich ist. Die Reaktionen der vor allem migrantischen Anwohner*innen dieses Viertels sind gespalten. Einige machen Selfies mit der Statue, andere putzen die Statue, schützen sie vor Stickern und küssen Erdoğans Füße. Im Hintergrund ruft eine jüngere Frauengruppe „Hoch die internationale Solidarität!“. Die Diskussionen werden aggressiver, Personen schreien sich an und Zeug*innen berichten, dass jemand mit einem Teppichmesser umherlief. Die Verantwortlichen der Biennale halten sich bedeckt, der*die Künst­ler*in bleibt anonym.

Obwohl die Reaktionen auf diese provokante Aktion absehbar waren, zeigt sich das Biennale-Team überrascht von Droh­anrufen und muss am Dienstag das Abendprogramm des Festivals abbrechen. Zur Eskalation kommt es noch nicht, aber um Kunst geht es schon lange nicht mehr.

Am späten Dienstagabend befinden sich dann deutlich mehr Polizist*innen auf dem Platz, und die Statue wird auf Befehl des Oberbürgermeisters Sven Gerich entfernt, weil die öffentliche Sicherheit gefährdet sei. Die Menschen werden vom Platz verwiesen und Erdoğan weggetragen.

Jesse R. Buendia, Wiesbaden