Digitalisierung und Umweltschutz: „Ausbruch aus den Silos“

Die Digitalisierung bringt zunehmend IT-Experten und Umweltbewegte zusammen. Sie kann zum Motor für Nachhaltigkeit werden.

Grafik: Ein Finger zeigt auf einen Punkt in einer Netzstruktur

Besserer Umweltschutz und effektivere Ressourcennutzung durch Digitalisierung Foto: imago/Jochen Tack

BERLIN taz | Der Begriff „Transformation“ ist derzeit in aller Munde. Vorige Woche erschien das neue Buch „Die Große Transformation“ des Öko-Vordenkers und Chef des Wuppertal-Instituts für Klima Umwelt Energie, Uwe Schneidewind, das er am Wochenende mit Bundesumweltministerin Swenja Schulze (SPD) in Berlin öffentlich diskutierte. Am heutigen Freitag startet auf dem Berliner Messegelände das technologische Hochamt der „digitalen Transformation“, die Internationale Funkausstellung (IFA), die sich zur wichtigsten Messe für Konsumelektronik entwickelt hat. Das Interessante: Beide Bereiche – die Ökoszene und die Digitalszene – bewegen sich aufeinander zu und versuchen, neue Bündnisse zu schließen.

Als „Ausbruch aus den Silos“ bezeichnet Dirk Messner, einer der beiden Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung, die neue Dynamik. Derzeit arbeitet der Beirat an seinem neuen Hauptgutachten zum Thema Digitalisierung, das Ende des Jahres fertig sein soll.

Es ist auch ein Aufholprozess auf Seiten der Nachhaltigkeitsforscher, denn im Rückblick wundert sich Messner selbst, dass im Hauptdokument globaler Nachhaltigkeitspolitik – den 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten „Sustainable Development Goals“ (SDG) – das Thema Digitalisierung an keiner Stelle auftaucht. „Nur einmal ist in den 169 Unterzielen vom Breitband-Ausbau die Rede“, bemerkt Messner. „Und damit hat sich die Wirkung der Digitalisierung auf die Nachhaltige Entwicklung erschöpft.“ Hier müsse dringend umgesteuert werden.

Dabei geht es um ökologische Effizienzgewinne durch die Fortschritte der Digitaltechniken, etwa Künstlicher Intelligenz und autonomer Robotersysteme. In seiner Gesamtschau auf sieben Transformations-Arenen der Gesellschaft hält es Schneidewind für möglich, dass „Digitalisierung eine ‚Faktor 10‘-Mobilität ermöglicht“.

Durch eine Reihe von innovativen Entwicklungen, wie Elektromobilität und autonomen Fahren, sei „ein dekarbonisierter Verkehr technologisch in greifbare Nähe gerückt“, schreibt Schneidewind in seinem Plädoyer für eine neu verstandene „Zukunftskunst“. Zudem werde durch soziale Innovation wie das Carsharing nach der Devise „Benutzen statt Besitzen“ das Mobilitätsverhalten umgewälzt. Es erscheine daher „nicht mehr unrealistisch“, so Schneidewind, „dass der künftige Verkehr in den Städten mit nur noch einem Zehntel der heutigen Automobile bewältigt werden kann“.

Schiefe Ebenen in der Gesellschaft

Eine bessere Ökowelt dank Rechnertechnik ist die eine Option. WBGU-Chef Messner drängt aber auch deshalb auf eine stärkere Beschäftigung mit der Digitalisierung, weil ihm mögliche negative Szenarien immer klarer vor Augen stehen: „Vor uns liegt eine gewaltige Gestaltungsaufgabe.“ Messner spricht von „schiefen Ebenen in der Gesellschaft“, die durch fortschreitende Digitalisierung ins Rutschen kommen können, mit schlimmen und nicht rückholbaren Folgen, ähnlich den „Kipp-Punkten“ der Klimaforscher. Das ist neben der Verschärfung der sozialen Ungleichheit und der Konzentration in der Wirtschaft auch der Verlust der Privatsphäre und letztlich der Überwachungsstaat. Mehr als die Hälfte aller Staaten der Erde sind keine Demokratien: „Dort aber, wo Digitalisierung auf autoritäre Strukturen stößt, dort sind Demokratie, Privatheit und Menschenrechte in Gefahr“, merkt Messner an.

Eine „vierte schiefe Ebene“ sieht er in der abnehmenden Regierungsfähigkeit der staatlichen Ebene: „Unsere Regierungen sind überfordert von der Geschwindigkeit der Digitalisierung und ihren unabsehbaren Folgewirkungen.“ Auch die Wissenschaft sei in dieser Hinsicht unzureichend aufgestellt, räumt Messner ein, der im Herbst die Leitung der Bonner Niederlassung der Universität der Vereinten Nationen übernimmt. „Wenn uns diese vier schiefen Ebenen entgleiten, dann werden sich in den nächsten zehn Jahren die Probleme der Demokratien, die wir im Augenblick schon beobachten, noch weiter zuspitzen.“ Messners Mahnung: „Wir müssen Digitalisierung daher in diesem gesellschaftlichen Kontext sehen.“

Es geht um ökologische Effizienzgewinne durch die Fortschritte der Digitaltechniken

Auch für den Berliner Sozialwissenschaftler Tilman Santarius stellt sich die Frage: „Wie können wir die Digitalisierung zur Triebkraft von Nachhaltigkeit machen?“ Der Autor („Smarte grüne Welt“), der eine Nachwuchs-Forschungsgruppe zum Thema „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ an der Technischen Universität Berlin und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) leitet, setzt sich unter anderem im Akteurskreis „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für eine stärkere Akzentsetzung in Richtung „Bildung für eine nachhaltige Digitalisierung“ ein.

Es gehe dabei weniger darum, ein „smart home“ mit Bedienkommandos für Jalousien und Heizung steuern zu können, sondern mehr denn je um „digitale Suffizienz“, wie er es nennt. Eine freiwillige Selbstbeschränkung durch den Verbraucher. „70 Prozent des Datenvolumens im Internet entfällt auf das Streamen von Videos“, sagt Santarius. „Und es ist weiter steigend.“

Orientierung auf das Gemeinwohl

Für Santarius ist es wichtig, dass aus sozialer und ökologischer Perspektive verstärkt über die Folgen und Gestaltung der Digitalisierung gesprochen wird. Zusammen mit Organisationen aus der Zivilgesellschaft und der Umweltbewegung hat er den Kongress „Bits & Bäume“ initiiert, der im November in der TU stattfinden wird. Es ist das erste große Zusammenkommen vom IT-Szene und Umweltbewegten in Deutschland. Dabei wird es nicht nur um Technik gehen, der Horizont ist weiter. „Bisher führt Digitalisierung zu einer Polarisierung der Einkommen“, erklärt Santarius. Klassische Jobs gehen verloren, werden automatisiert, während der Billiglohnsektor wächst.

Damit sich das so nicht fortsetzt, brauche es eine „stärkere Orientierung auf das Gemeinwohl“, betont Santarius. „Kollaborativ statt kapitalistisch“, laute die Devise. Wie Messner ist auch Santarius der Überzeugung: „Digitalisierung kann als Motor für die Nachhaltigkeit wirken.“ Die Rahmenbedingungen sollten in Deutschland durch eine „transformative Digitalpolitik“ bereitgestellt werden, wozu Regulierung und Anreizinstrumente zum Umsteuern in Richtung „Techniksuffizienz“ gehören.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit könnte aus dem „Bits & Bäume“-Auftakt zu einer grünen Digitalisierung eine Bewegung keimen und wachsen, die in einigen Jahren – nicht unvorstellbar – auch auf die IFA überschwappt. Dort werden in diesen Tagen die Segnungen der Digitaltechnik für den privaten Konsumenten in allerhöchsten Tönen gepriesen, egal ob sie auf dem Handy, dem LDC-Bildschirm oder der VR-Datenbrille flimmern.

Ökologische Fragen, wie etwa der immens hohe Energieverbrauch der wachsenden Geräteparks und der Data Clouds, wie auch der Verlust der Privatheit durch Sprachassistenten mit Künstlicher Intelligenz, werden nur am Rande angesprochen. Das muss aber so nicht bleiben. Auch eine andere Leitveranstaltung der Messe Berlin, die „Grüne Woche“, zieht im Januar regelmäßig die Protestierer für eine Agrar- und Ernährungswende an. Eine vergleichbare Oppositionsbewegung könnte der IFA als digitale Leitmesse ebenfalls ins Haus stehen.

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