„Klassenkampf im Klassenraum“

Niedersachsen will über eine Milliarde Euro in die Digitalisierung investieren. In Schulen setzt Wirtschaftsminister Bernd Althusmann dennoch darauf, dass die Kinder ihre Geräte selbst mitbringen

Von Yasemin Fusco

Schüler*innen in Niedersachsen sollen bald ihre eigenen Tablets und Handys mit in den Unterricht bringen – das jedenfalls sieht der Masterplan Digitalisierung vor, den Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) gestern vorgestellt hat. Die Lehrergewerkschaft GEW kritisiert, dass das Vorhaben Kinder aus einkommensschwächeren Familien benachteilige.

Es sei nicht ausschlaggebend, dass alle Schüler*innen mit den neuesten Tablets ausgestattet seien, findet Althusmann hingegen. Wichtig sei, dass die Kinder und Jugendlichen sowohl Zuhause als auch in der Schule mit der vorhandenen Infrastruktur arbeiten könnten und in der Nutzung der Tablets ausreichend geschult würden.

Nahezu jeder der zwölf bis 19-jährigen Schüler*innen besitze ein Smartphone, bis zu 90 Prozent ein Tablet, sagt Althusmann. Das will er nutzen und gleichzeitig Geld sparen. Alle Schüler*innen in Niedersachsen mit Tablets auszustatten, würde 14 Millionen Euro kosten, rechnet Althusmann vor. Und selbst wenn nur die Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien unterstützt würden, seien dies noch 2,8 Millionen Euro. „Die Endgeräte ersetzen außerdem bisherige Geräte“, sagt Althusmann und meint etwa Taschenrechner, die die Eltern bisher kaufen müssen.

Teure Tablets für reiche Kinder

Christian Hoffmann, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), findet die Idee zynisch: Brächten die Schüler*innen ihre eigenen Tablets mit, „dann würde es im Unterricht vermutlich teure Geräte bei Kindern aus wohlhabenden Familien geben, Leih-Geräte für arme Kinder sowie irgendetwas dazwischen für Normal- und Geringverdiener“. Das würde zu einem verschärften Klassenkampf im Klassenzimmer führen, sagt Hoffmann.

Ein weiteres Problem sieht er darin, dass auf den privaten Geräten viele Apps und Chatprogramme installiert seien, die die Jugendlichen eher vom Unterricht ablenkten. „Die GEW stellt sich keineswegs gegen schnelles Internet oder Smartboards an Schulen“, stellt Hoffmann klar. „Doch zunächst muss es dafür eine sozial verträgliche, pädagogisch untermauerte Gesamtkonzeption für die Digitalisierung in Niedersachsen geben.“

Ohne einen Internetzugang nützen die mitgebrachten Geräte ohnehin nichts. Derzeit haben nur 317 Schulen in Niedersachsen Wlan. Der Masterplan sieht vor, dass weitere 2.600 Schulen bis 2021 mit Gigabit-Anschlüssen versorgt werden.

Die große Koalition will jedoch nicht nur die notwendige Infrastruktur für digitales Lernen schaffen. Auch alle Haushalte in Niedersachsen sollen bis 2025 Gigabit-Anschlüsse bekommen. Funklöcher auf Autobahnen und Bahnstrecken sollen verschwinden. Dafür will Althusmann mit den Mobilfunkbetreibern verhandeln und auch landeseigenes Geld in den Ausbau der Netze stecken. Insgesamt 20 Millionen Euro will der Wirtschaftsminister an den Stellen ausgeben, an denen sich der Ausbau für die Unternehmen wirtschaftlich nicht lohnt. „Das ist eine Reserve zum Lückenschluss“, sagt er.

Insgesamt soll all das eine Milliarde Euro kosten. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Niedersachsen, Mehrdad Payandeh, kritisiert den Plan dennoch: „Mehr Glasfaserkabel zu verbuddeln ist das eine, in die Köpfe der Menschen zu investieren das andere.“ Damit die Digitalisierung dem Menschen diene und nicht umgekehrt, brauche es mehr Beteiligungsrechte für die Beschäftigten, sagt Payandeh – und einen Plan dazu vom Wirtschaftsminister.