Anleitung für eine bessere Streitkultur: Mit Linken reden

Solange Rechte morden und Menschen jagen, müssen sich Linke nicht den kaputten Diskurs vorwerfen lassen. Ein Gesprächsleitfaden für Rechte.

In Chemnitz entblößen mehrere Männer ihren Hintern

Die ideologischen Gräben sind tief: Neonazis in Chemnitz im Kampf um die besten Ideen Foto: imago/Michael Trammer

Immer wieder gibt es Anleitungen, die sich an Linke richten, um sie zu belehren, wie sie sich angesichts tiefer Menschenfeindlichkeit dennoch höflich und zuvorkommend Rechten gegenüber benehmen sollten. Nicht über jedes Stöckchen springen, ihre Sorgen ernst nehmen, sich nicht auf ihr Niveau begeben, immer schön konstruktiv argumentieren, die Gräben unserer Gesellschaft nicht vertiefen und Nazis und Rassisten bloß nicht „Nazis“ und „Rassisten“ nennen – das sind gängige Empfehlungen. Jeder Provokation müsse konstruktiv begegnet werden, jede abgeschlossene Diskussion – beispielsweise darum, ob der Holocaust stattgefunden habe – müsse nochmal von vorne durchargumentiert werden, sonst seien die Rechten die rhetorischen Gewinner.

Vergleichbare Anleitungen gibt es für Rechte nicht. Warum eigentlich? Autoren wie Per Leo, Maximilian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn, die behaupten zu wissen, dass und wie man „Mit Rechten reden“ könne, schreiben keine Bücher, die sich an Rechte wenden und diese in Massen bekehren, sondern wenden sich lieber an Linke und empfehlen, dass sie statt Empörung und Zurückweisung es mit Argumenten und Humor versuchen sollten.

Es ist wie ein gesamtgesellschaftliches Stockholm-Syndrom: Bei denjenigen, die ihre Werte mit jenen teilen, die Menschen durch die Straßen hetzen, Flüchtlingsheime anzünden und seit 1990 fast 200 Menschen ermordet haben, ist man im demokratischen Spektrum dankbar, wenn sie nur verbale Gewalt anwenden. Und wenn sie dann doch ausrasten, fragt man, was ihre Opfer und Gegner falsch gemacht haben. Perfiderweise geben damit viele Menschen – sogar Linke – dem demokratischen Spektrum die Schuld am Rechtsruck, statt auf die tatsächlichen Akteure zu schauen.

Eine deliberative Öffentlichkeit, in der Argumente mit dem Ziel höherer Erkenntnis ausgetauscht werden, ist keine rechte Utopie. Ihre Gewalt, Herabsetzung und Entmenschlichung von Linken, People of Colour, queeren Menschen und Frauen und ihre Feindseligkeit gegenüber Institutionen wie Staat und Medien, dienen dazu, diese aus dem Diskurs zu entfernen. Am Ende, wenn ein System in ihrem Sinne entsteht, sollen alle ihnen zuhören und Medien das berichten, was sie vorschreiben.

Entsprechend ist ihr Ziel in der sprachlichen Auseinandersetzung nicht die Suche nach dem besseren Argument, sondern die Polarisierung, Provokation und die Zerstörung der gesellschaftlichen Verständigung. Auf dieses Ziel muss man keine Rücksicht nehmen und seine Werte ihm auch nicht unterordnen. Jemanden, der das Spiel auf dem Schulhof nur sprengen will, muss man nicht mitspielen lassen.

Und dennoch wollen wir nicht alle Rechten aufgeben. Hier kommt die Anleitung für Rechte, die mit Linken reden und die mit Argumenten überzeugen wollen:

1. Ermordet keine Menschen. Seit 1990 haben laut der Amadeu-Antonio-Stiftung rund 200 Menschen durch rechte Gewalt ihr Leben verloren. Wenn ihr euer Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes mundtot macht, gibt es keinen Diskurs.

2. Schlagt Leute nicht, zündet ihre Wohnungen nicht an und veranstaltet keine Hetzjagden. Eure Gegenüber körperlich einzuschüchtern, führt ebenfalls dazu, dass sie sich nicht mehr äußern. Wenn Menschen nicht mehr sprechen, ist das auch das Ende eines jeden freien Meinungsaustausches.

3. Verherrlicht keine Diktaturen. Zeigt keine Hitlergrüße oder sagt Dinge wie „unter Hitler hätten wir dich vergast“. Das untergräbt euer Bekenntnis zum demokratischen Austausch.

4. Nutzt keine Morddrohungen und Beschimpfungen und vergleicht Menschen nicht mit Tieren. Geht nicht mit einem Galgen auf Demos und ruft nicht „absaufen, absaufen“. Sagt nicht, ihr wolltet auf Flüchtende an den Grenzen schießen und malt euch nicht offen aus, wen ihr nach der Machtübernahme an die Wand stellen wollt. Versucht es doch mal ohne Gewaltfantasien. Oder gar mit Humor.

5. Müllt das Netz nicht mit Beleidigungen und Herabsetzungen voll. Wenn Betroffene von sexuellen Übergriffen unter #MeToo berichten oder Betroffene von Rassismus unter #MeTwo oder queere Menschen über ihre Leiden unter #MeQueer, übernehmt nicht die Hashtags und schreibt da rein, warum diese Menschen Schläge/Vergewaltigung/Mord verdient hätten. Ihr müsst ja nicht über jedes Stöckchen springen oder jeden Artikel kommentieren.

6. Informiert euch. Wenn ihr Zweifel daran habt, ob der Klimawandel, der Holocaust oder gar die Bundesrepublik Deutschland echt sind, behauptet das nicht einfach, sondern recherchiert erst einmal. Seid dabei auch offen für die Argumente der Gegenseite und überlegt, ob ihr eure Position überdenken wollt.

7. Sprecht eure Gegenüber richtig an. „Antifant“, „Linksfaschist“ oder „Linksgrünversiffte“ sind keine respektvollen Begriffe und führen dazu, dass Linke abschalten und nicht mehr zuhören. Solche Provokationen machen die ideologischen Gräben unserer Gesellschaft nur tiefer. Vermeidet sie!

8. Versucht präzise zu sein. Nur weil jemand dunkle Haare hat oder mit einem Akzent Deutsch spricht, ist er oder sie nicht automatisch Migrant/Ausländerin/Flüchtling/Jüdin/Muslim/Islamistin. Gleiches gilt, wenn er oder sie einen dunkleren Hautteint hat als ihr. Hinzu kommt: Deutsche, die ausländische Vorfahren haben, sind immer noch Deutsche. Und für alle gelten die gleichen Menschenrechte. Im öffentlichen Wettkampf um die besten Ideen seid ihr überzeugender, wenn ihr nicht alles durcheinander werft.

9. Schweigt keine Themen tot. Auch wenn es unbequem ist, thematisieren Linke manchmal wichtige Dinge, etwa die Aufklärung der NSU-Morde und andere Morde durch Neonazis, Gleichberechtigung der Geschlechter und die freie Ausübung aller Religionen in Deutschland. Versucht euch für die Sorgen anderer zu interessieren, sonst wirkt ihr inkonsequent und eure Themenwahl selektiv.

10. Bekennt euch zur Meinungsfreiheit. Hört auf anzukündigen, wozu ihr Medien nach dem rechten Systemwandel zwingen wollt. Denn auch dann soll es doch vielfältig, gleichberechtigt und frei zugehen. Oder etwa nicht?

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