russisch brot
: Subventionierte Sause

Der russische Fußball boomt. Vor allem in den WM-Städten strömen die Fans in die Arenen. Für deren Betrieb zahlt der Staat – noch

Lustig war’s. Die Spieler der russischen Auswahl sind zum ersten Mal nach der ruhmreich absolvierten Heim-WM zusammengekommen. Weil ihr oberlippenbärtiger Trainer Wladislaw Tschertschessow vor Kurzem Geburtstag hatte, erschienen sie mit aufgeklebtem Schnurrbart zum ersten Training. Dazu trugen sie T-Shirts im Juri-Gagarin-Look mit Tschertschessow als Raumfahrer. Am Freitag spielt die Sbornaja gegen die Türkei in der Nations League. Worum es für die Russen dabei geht? Um den Aufstieg natürlich. Russland ist in der zweitklassigen Kategorie B des neuen Uefa-Wettbewerbs einsortiert worden. Nach dem Viertelfinaleinzug bei der WM empfindet man das als unangemessen. Nicht nur Trainer Tschertschessow geht fest vom Aufstieg aus.

Die Stimmung ist jedenfalls ungebrochen gut im russischen Fußball. Dass mit Benedikt Höwedes ein leibhaftiger Weltmeister zu Lokomotive Moskau gewechselt ist, wird ebenso als Wertschätzung für den russischen Fußball gewertet, wie die Unterschrift von Claudio Marchisio, der sieben Mal mit Juventus Turin italienischer Meister geworden ist bei Zenit St. Petersburg. Dass die beiden sich weit im Herbst ihre Karrieren befinden, wird man schon wissen, zum Thema macht man es lieber nicht. Es würde nicht passen zur guten Post-WM-Stimmung.

Die Liga boomt jedenfalls. Im Schnitt knapp 20.000 Zuschauer sind zu den Spielen der Premier Liga an den ersten sechs Spieltagen gekommen. In der Vorsaison lag der Schnitt bei 14.000. Es sind vor allem die nagelneuen WM-Arenen, die die Fans anziehen. Der FK Rostow hat in der vergangenen Saison in einem Stadion gespielt, in dem nur gut 15.000 Zuschauer Platz hatten. Ins neue Stadion auf der anderen Seite des Dons sind zu den vier Spielen der laufenden Saison jeweils doppelt so viele Fans gekommen.

Aufsteiger Krylja Sowjetow aus Samara, der mit einer doch recht biederen Mannschaft ohne Stars um den Klassenerhalt kämpfen will, konnte pro Spiel bisher 28.000 Karten verkaufen und die futuristisch anmutende WM-Schüssel mit einem Fassungsvermögen von 44.000 Zuschauern weit vor den Toren der Stadt leidlich füllen. Dabei konnte der Klub froh sein, dass das Spiel gegen Ufa (1:0) am vergangenen Samstag überhaupt stattgefunden hat. Der Energieversorger Samaraenergo hatte den Strom in der Arena abgedreht, um dem Konzern, der das Stadion errichtet hat, dazu zu bewegen, die offenen Stromrechnungen zu begleichen. Seit Jahresbeginn ist der Strom für die Arena nicht bezahlt worden.

Das Problem ist dann gelöst worden. Der Konzern werde die Rechnung zahlen, meinte man bei Samaraenergo und knipste das Stadionlicht wieder an. Gar nichts sagen wollte man zu dem Fall bei Sport-In, der staatlichen Betreibergesellschaft der meisten für die WM errichteten Stadien. Die Firma nimmt den Klubs einen Teil der Betriebskosten ab und setzt dafür Staatsgelder ein. Doch länger als bis zum Jahr 2020 soll die Förderung nicht laufen. Das hat Präsident Wladimir Putin in einem Ukas verkündet. Der Boom soll sich bald selbst tragen.

Der scheint in Russlands ungemütlichster Teilrepublik gar nicht angekommen zu sein. In Tschetschenien werden Männer regelrecht dazu gezwungen, die Spiele des russischen Erstligisten Achmat Grosny zu besuchen, damit Präsident Ramsan Kadyrow schöne Propagandabilder vom florierenden Profifußball in seiner Stadt um die Welt schicken kann. Angestellte eines örtlichen Unternehmens berichteten, sie seien von ihrem Boss zum Besuch des Spiels gegen Rubin Kasan (1:1) verdonnert worden. Und ein Student berichtete dem Nachrichtenportal Kaukasischer Knoten, man habe ihm mit negativen Folgen für Prüfungen und Examen gedroht, sollte er das Spiel nicht besuchen.

Andreas Rüttenauer