Aktivisten rufen Tag X im Hambacher Forst aus

Die ersten Bäume für die Ausweitung des Braunkohletagebaus im Rheinland sind gefallen, Anti-Kohle-Initiativen fordern bundesweit Unterstützer auf, beim Blockieren zu helfen

Baumbesetzer gegen Rodung: Mit einem Großaufgebot räumt die Polizei den Hambacher Forst. Wer hat den längeren Atem? Foto: Henning Kaiser/dpa

Aus dem Hambacher Forst und Berlin Anett Selle

Die ersten Bäume im Hambacher Forst sind gefällt, Tag X ausgerufen. Nach den Räumaktionen des Energiekonzerns RWE im von Rodungen bedrohten Waldstück im rheinischen Braunkohlerevier haben Klimaaktivisten am Donnerstag massenhafte Proteste angekündigt. Sie warfen RWE vor, schon vor dem genehmigten Datum, dem 1. Oktober, mit Rodungsarbeiten begonnen zu haben. „Mit dem sogenannten Tag X beginnt heute eine bundesweite Massenmobilisierung“, erklärten mehrere Organisationen, darunter „Aktion Unterholz“ und die Anti-Braunkohle-Initiative „Ende Gelände“.

„Ich könnte heulen“, sagt ein Student. „Ich auch“, sagt eine Fotografin im Forst. „Aber vor allem könnte ich kotzen.“ Die beiden sind in den Hambacher Forst gekommen, um die BesetzerInnen zu unterstützen. Jetzt stehen sie zusammen mit etwa acht anderen AktivistInnen mitten im Wald, im Baumhausdorf namens Gallien: oder dem, was einmal Gallien war? Gibt es Gallien noch? Man weiß es nicht.

Ja, die Handvoll Baumhäuser ist noch da. Aber die Hütten am Boden, Gemeinschaftsräume, Küche, Lager sind jetzt nicht mal mehr ein Schutthaufen, sondern nur noch ein Teppich aus Sägespänen. Nicht wiederzuerkennen: Wer Gallien vorher gesehen hat, könnte durchlaufen, ohne es zu entdecken.

Am Donnerstagmorgen waren Hunderte Polizei und RWE-Mitarbeiter wie schon am Vortag für die Räumarbeiten im Einsatz, gerichtlich genehmigt ist ihnen die Beseitigung von „Unrat“ am Boden. Jetzt sind sie weg. Was bleibt, ist die neue Leere, rot-weiße Absperrbänder, Plastikflaschen und: zwei Bäume, die sie gefällt haben sollen. Der in Gallien, vielleicht 15 bis 20 Jahre alt, scheint umgefahren worden zu sein und wurde dann zersägt.

Der im benachbarten Oaktown wurde eindeutig per Säge gefällt. „Da sind fünf Leute mit einer Kettensäge vorgeprescht“, sagt eine Besetzerin. „Der musste wohl weg, damit sie weiter räumen konnten.“ Ob und wie die Bäume zu Fall kamen, ist entscheidend: Initiativen und Organisationen hatten die rote Linie für ihr Eingreifen beim Fällen der ersten Bäume gezogen.

Ein Wald

Der Hambacher Forst ist eigentlich ein Wald: Es handelt sich nämlich nicht um eine bewirtschaftete Baumfläche, sondern um einen der letzten großen Mischwälder Mitteleuropas mit einer 12.000 Jahre alten Geschichte. Es gibt dort Vorkommen streng geschützter Arten wie der Bechsteinfledermaus, des Springfroschs und der Haselmaus.

Ein Tagebau

Der Wald liegt im Südosten des wohl größten europäischen Braunkohle-Tagebaus Hambach. Vor Beginn der Kohleförderung war der Hambacher Forst etwa 4.100 Hektar groß. Laut RWE wurden bislang 3.900 Hektar für den Kohleabbau gerodet. Nun hat RWE die Erlaubnis, ab Beginn der Rodungsperiode ab 1. Oktober 100 Hektar der verbliebenen 200 Hektar zu beseitigen. Der Forst ist also noch etwa so groß wie etwa 140 Fußballfelder. (ksc)

Am Mittag ist der Wald ruhig, die AktivistInnen sammeln sich, ein Kamerateam stapft durch Gallien. „Sollen wir einen Schwenk machen?“, fragt die Frau. „Schwierig“, sagt der Mann. „Wenn da jetzt noch Hütten wären – aber so, man sieht ja nichts.“ Die neue Leere ist kein Motiv. Wer Hütten sehen will, muss nach Oaktown, etwa 50 Meter weiter durch den Wald.

Nur im Umland sind noch Polizisten unterwegs. Sie kontrollieren streng an Straßenkreuzungen Richtung Wald, nehmen die Personalien auf, führen Namenslisten, durchsuchen die Autos. Wer zur Mahnwache fährt, wird sonst innerhalb von etwa zwei Minuten Fahrt zweimal kontrolliert. Heute ist die Stimmung aber recht entspannt. Kontrollierte wie KontrolleurInnen gehen respektvoll miteinander um. „Gestern war das ­anders“, sagt ein Student im Wald. „Da mussten sich Menschen vor allen anderen nackt ausziehen, die Aktion haben sich Polizisten aus Duisburg geleistet. Die Polizei aus Aachen, Köln oder Mönchengladbach macht so was nicht mit uns.“

Nicht nur die Aktivisten haben Tag X ausgerufen, auch RWE hat am Donnerstag eine Ankündigung gemacht. Mit den Rodungen wolle man erst am 14. Oktober beginnen – wenn das Oberverwaltungsgericht Münster über eine Klage des Bundes für Natur und Umweltschutz Deutschland (BUND) entschieden hat.

Auch die Bewohner der Baumhäuser riefen dazu auf, die Baumbesetzungen zu unterstützen. Das Bündnis „Aktion Unterholz“ will am Freitag ab 9.30 Uhr mit Blockaden und anderen Aktionen des zivilen Ungehorsams weitere Arbeiten im Wald aufhalten. „Wir erwarten mehrere hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer“, sagte Sprecher Jan Pütz. Für Anreisende gebe es eine Schlafplatzbörse.

Ob die Räumarbeiten, die RWE in den letzten Tagen durchgeführt hat, am Freitag weitergehen, ist offen. Die Polizei Aachen erklärte am Mittag, der aktuelle Einsatz sei beendet.

Derweil forderten Grüne, SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze und mehrere Mitglieder der Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung derzeit über einen Kohleausstieg berät, ein Rodungsmoratorium im Hambacher Forst. Die Grünen-Fraktion im Bundestag warf RWE vor, „mit Unterstützung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens und mit Duldung der Bundesregierung eine unnötige Eskalation des Konflikts“ heraufzubeschwören und die Arbeit der Kohlekommission zu torpedieren. Parteichefin Annalena Baer­bock nannte die Einsätze eine „absurde Machtdemonstration für eine Energiepolitik aus dem letzten Jahrhundert“.

(Mitarbeit: Bernhard Pötter)