wortwechsel
: Wie lassen sich Kleinbürger beruhigen

Mit Witz und paradoxer Intervention, mit Wimpeln im gemähten Vorgarten, mit Massenspaß gegen massenhaften Hass, mit Widerstand gegen kulturfremdelnde Positionen?

Starke Pose gegen Nazis. Campino von den Toten Hosen, Chemnitz Foto: David Baltzer

Alle aufstehen!

„Die vage Skizze einer linken Mitmach-Bewegung“, taz vom 3. 9. 18

Ich verstehe mich auch als (Grün-)Linker, und mich störten in der Vergangenheit (auch) oft die intellektuellen Abgrenzungsbemühungen. Aber: Ist das heutzutage nicht die falsche Schwerpunktsetzung (abgesehen davon, dass ja vor allem die AfD – wie früher die Nazis – mit ihrer Abgrenzung und Fremdenfeindlichkeit die sozial Schwächsten in ihren Bann ziehen, weil sie zum Beispiel für Gewerkschafter gar nicht erreichbar sind), wenn wir erkennen müssen, dass das kapitalistische System mit seiner Überproduktion von Klimakillern dabei ist, unsere Existenzbedingungen nachhaltig zu vernichten, und das fast ohne entscheidenden politischen Widerstand?

Müssen wir nicht alle aufstehen gegen die Wachstums- und Überproduktionswirtschaft und ganz andere Mehrheiten gewinnen, ganz egal welcher politischen Strömung sie einmal zuneigten? Oder sind wir schon so weit, dass eine Mehrheit gar nicht mehr aufstehen kann, weil sie eingesperrt in ihren Privat-Pkw im Stau steht? Dietmar Rauter, Kronshagen

Hass verhindert Diskurs

„Mit Linken reden“, taz vom 3. 9. 18

Ich kann euren Wunsch bestens nachvollziehen, fürchte aber, dass er ein frommer bleibt. Wut und Hass auf wen auch immer (Flüchtlinge, Lügenpresse, Merkel, LBGT+ usw. – eigentlich alle anderen) verhindern ja gerade jeden Diskurs: Wer am lautesten schreit, wer die etablierten Parteien vor sich her treiben kann, wer sich der Zustimmung zum Tabubruch gewiss sein kann, hat gewonnen. Meiner Erfahrung nach braucht es viel Witz, Schlagfertigkeit, Kreativität und auch paradoxe Intervention, um den gewünschten Diskurs in Gang zu setzen. Auf die Rechten zu warten hilft leider nicht. Thomas Risse, Bremen

Was 68er nie mochten

„Kampf um Chemnitz“, taz vom 31. 8. 18

Die „Nahaufnahme“ beleuchtet zwei Männer, zwei Positionen, die das ganze Dilemma in Chemnitz spiegeln. Lars Fassmann und Mandy Knospe als Investorenpaar und sozialliberale Stadtgestalter mit Geld, Mitteln und Ideen. Sie schaffen Raum für Künstler und Kreative, die sich im Querschnitt aus dem gebildeten Prekariat zusammensetzen. Auf der anderen Seite Martin Kohlmann, Chef von Pro Chemnitz und rechter Protagonist, der den Aufmarsch für die Rechte der Angstbürger organisiert, viele davon Prekariat und Kleinbürger mit sowohl ­Abstiegsängsten als auch Aufstiegs­fantasien.

Beide sind auf dem Boden öffentlich rechtlicher Versäumnisse zu öffentlich wirksamer Sichtbarkeit gewachsen, die in ihren Rollen als Vertreter von Meinungen und als Macher erst so wichtig geworden sind, weil sie das tun, was Staat und Stadt versäumt haben: Raum schaffen, Sichtbarkeit herstellen, Ängsten in ihrer Ent-äußerung Raum geben, um sie im günstigen Fall zu nehmen und im Worst Case, der wahrscheinlicher ist, zu instrumentalisieren.

Investoren, seien sie auch sozial und liberal, besitzen durch ihr Kapital Machtmittel, die ihnen durch Versäumnisse staatlicherseits zu einem Ausmaß an Machtpotenzial verhelfen, wie es ausschließlich Stadt, Staat und gewählte Vertreter mit entsprechenden Kontrollinstanzen haben dürften. Dies ist eine Seite der Medaille, die auf ihrer Kehrseite Leuten wie Kohlmann zu mehr Gehör und rechter Gefolgschaft verhilft.

Solange es keine Verbesserungen lokaler Infrastruktur seitens gewählter und ernannter Verantwortlicher gibt, sei es in Form von funktionierenden Schultoiletten, Bildungszuschüssen, sozialem Wohnungsbau, eingelösten Versprechen von Chancengleichheit, sauberen Parks und dem, was Kleinbürgern wichtig ist – so lange werden rechte Proteste auch in Chemnitz weiteren Zulauf bekommen.

Das Veränderungsprogramm soll­te heißen: „Kleinbürger beruhigen“. Durch Sozialprogramme auch für Kleinbürger*innen, saubere Parks, ordentliches Aussehen, Fähnchen und Wimpel im gemähten Vorgarten, all das, was 68er nie mochten. Eben kleinbürgerlich. Maria Koehne, Berlin

Sie wollen die Macht

„Die Rechten ausgetanzt“, taz vom 5. 9. 18

Die 65.000 Teilnehmer an den Chemnitzer Konzerten gegen rechts sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Tag zuvor 8.500 Menschen, von denen offenbar niemand ein Problem hatte, wenn er denn nicht selbst einer ist, mit Neonazis mitzulaufen, nur 3.000 antifaschistische Demonstranten gegenüberstanden. Trotzdem war dieses Musikevent ein mehr als nur auf demonstrative Mengenverhältnisse reduzierbares Zeichen, geht es doch in der Konfrontation mit erzkonservativen und rechtsradikalen Positionen auch immer darum, sich in den angewendeten Mitteln bereits deutlich vom Gegner zu unterscheiden. Und da steht einerseits eine inzwischen größtenteils in Eventkultur organisierte Rausch- und Spaßmentalität einer ganz unabhängig von tatsächlichen Anlässen virulenten Mecker-, Wut- und schließlich Hassmentalität entgegen.

Hass mit Hass zu begegnen ist ja der ganz falsche Weg. Trotzdem fragt sich, ob solche ans Belohnungszentrum des Eventkonsumenten angeschlossenen Veranstaltungen etwas bewirken außer der zahlenmäßig imposanten Präsenz des Massenspaßes gegen den massenhaften Hass.

Die eigentliche antifaschistische Auseinandersetzung wird in den alltäglichen und deutlich weniger spaßigen Konfrontationen mit rechten und kulturfremdelnden Positionen, aber auch mit den Formen des Widerstands gegen dieses inakzeptable Emotionsgut geführt. Da war zum Beispiel auf einer antifaschistischen Demo jüngst ein Transparent zu sehen, auf dem zu lesen war: „Pogrome sind voll 30er“. Nein, Neonazis ist nicht mit den Eitelkeitsmotivationen von Trends beizukommen. Sie wollen nicht „in“ sein (aber sie wollen möglichst viele werden und an die Macht kommen). Die Diskussion lässt sich so gar nicht führen und erfordert ganz andere Metaphern als die von Moden und Trends. Vor allem aber: Ein solcher Satz bedeutet im Klartext, dass rassistischer Massenmord an sich nicht unbedingt schlecht ist, wenn er denn zur rechten (!) Zeit geschieht und nicht dann, wenn er längst nicht mehr cool und „in“ ist.Wolfram Hasch, Berlin

Ausschreitungen

„Sächsische Semantik“, taz vom 6. 9. 18

Werte taz, laut Duden bedeutet Pogrom (russ.: Verwüstung, Unwetter): Ausschreitung gegen nationale, religiöse oder ethnische Minderheiten. Pogrom ist also der richtige Ausdruck, eine „Reservierung“ für antisemitische Ausschreitungen halte ich für kontraproduktiv.

Roland Benz, Frankfurt am Main

„Die Wissenschaft hat …“

„Pointiert gegen die Aura“, taz vom 1. 9. 18

Medizin orientiert sich an Evidenzen und einer wissenschaftlich klar definierten Methodik. Begriffe wie „Schulmedizin“, „westliche Medizin“ und das Kunstprodukt „TCM“ sind irreführend, da suggeriert wird, es gebe unterschiedliche Arten von Medizin. Die Art der Erwähnung von Medizin und Dingen wie Meridianen/Qi suggeriert absurderweise eine Gleichwertigkeit, für die jegliche Evidenz fehlt. Auch lässt der Artikel jeglichen Hintergrund zu den erwähnten Studien vermissen: keine Titel, keine Autoren, keine Methodik, keine Quellenangaben, nichts. Alles nach dem Motto: „Die Wissenschaft hat festgestellt …“ Die Empfehlung am Ende des Artikels, auf die Seriosität der Akupunkturpraxis zu achten, nimmt sich dann wie Satire aus.Dirk Heinen, Köln

Frauen schreiben Artikel

„Wo sind die Frauen?, taz vom 1. 9. 18

Wo die Frauen sind? Die schreiben einen erhellenden Artikel über männliche Chefredakteure. Und sind auch sonst als Journalistinnen ziemlich präsent. Chefredakteure schreiben selten, die managen und kassieren viel Geld dafür. Frau Fromm würde ich das natürlich auch gönnen, aber lieber lese ich was von ihr und den Kolleginnen. Bernhard Koch, Arpke