So viel Kritik muss sein: Jan-Paul Koopmann über „Audition for Life/Art“
: Das Wir kommt später

Roua Reshah müsse jetzt auch nicht unbedingt weitertanzen, findet die Jury – sie tauge ohnehin nur für die Rolle der Flüchtlingsfrau. Die Wahrheit dieser zynischen Spitze hat nun wirklich gar nichts mit dem Tanz der aus Syrien stammenden Resh­ah zu tun, dafür aber umso mehr mit dem hiesigen Kulturbetrieb. Denn natürlich würde in der Kulturszene niemand etwas gegen Geflüchtete am Theater sagen. Nur sind dann halt auch ihre Rollen klar.

Auch sonst geht es in der getanzten Castingshow „Audition for Life/Art“ mindestens so sehr um „uns“ wie um „die“. Die gemeinsame Produktion vom Steptext Dance Project und der Bremer Shakespeare Company war der Höhepunkt des am Sonntag beendeten Festivals „Sehnsucht Europa“.

Programmatisch stand die Show für das ganze Festival, das ein Miteinander auf Augenhöhe zeigen wollte. Und auch, wenn es heute zum guten Ton gehört, auf die internationale Besetzung seiner Stücke hinzuweisen, geht es hier doch um mehr als nur um ein paar Gäste, die man irgendwo aufgegabelt hat: In der „Audition“ tanzen acht Künstler*innen aus sieben Nationen. Von Reshah aus Syrien über den Südkoreaner Oh Chang Ik bis zu Jaramillo Pineda aus Kolumbien.

Die Castingshow ist natürlich nicht echt, sondern ein Stück im Stück, ein Vorwand für teils folkloristisch gefärbte Soli – und ein Anlass für die Regisseure Mokhallad Rasem und Helge Letonja, mit künstlerischen Mitteln über den Kulturbetrieb zu reden. Das Flüchlingsthema scheint immer wieder auf, wird aber nur einmal dominant: als Médoune Seck aus Senegal beim Dank für seinen Gaga-Preis („die sanfteste Haut“) um eine Schweigeminute für seine fünf im Mittelmeer ertrunkenen Brüder bittet. „Eine wirklich schöne Idee“, säuselt die herrlich bösartige Jurorin Katrin Steinweg, weil sowas bewegt, unterhält und gut ist für die Show.

Ausdrücklich weigert sich die Produktion, „irgendwas mit Flüchtlingen“ zu machen. Darauf hatte der Spruch mit Reshahs einziger Rolle gezielt, dem gelten auch die anderen Seitenhiebe. „Die folkloristischen Tänze waren sehr schön“, heißt es einmal zu Recht, „aber haben Sie vielleicht noch eine ästhetische Abstraktionsebene?“ Die kommt: Popowackeln im Takt der Musik, zum allgemeinen Gejohle.

Diese Gag-Einlagen verkraftet die Inszenierung nur, weil die Choreografie da auf hohem Niveau läuft, wo es vermeintlich nur um Lückenfüller geht. Die Künstler*innen kreisen im Tanz umeinander, verpassen vorsätzlich punktgenau die Symmetrie. In den Gruppenszenen werden so wortlos eindringliche Brüche gesetzt, statt eine Einheit zu behaupten. Das ist ein unglaublich dichter Hintergrund für die mal lustigen, mal finsteren Solo-Nummern dazwischen.

Die Umkleide ist am Bühnenrand: ein exhibitionistischer Akt und zugleich ein Fingerzeig auf die materiellen Grenzen der Freiheit. Jeder hier befüllt seine zwei, drei brüchigen Identitäten aus je nur einem einzigen Koffer.

Dass die getanzte Identitätssuche unter Wettkampfbedingungen hervorragend gelingt, ist angesichts der vielsprachigen Besetzung zwar bemerkenswert, aber auch kein Hexenwerk. Die Tänzer*innen sind Profis, haben in ihren Herkunftsländern Tanz studiert und ihr Können in diversen international besetzten Produktionen bewiesen. Ein Publikum, das sich auf dem Weg nach draußen gleich mehrfach fragt, ob das nun eigentlich Tänzer seien oder Flüchtlinge – das beweist nur, wie gut die Inszenierung an den richtigen Stellen verunsichert hat.

Zum letzten Mal in Bremen: Fr., 14. 9., 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz