die woche in berlin
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Gegen die Zunahme rechter Gewalt in Treptow-Köpenick engagiert sich erfreulicherweise die Zivilgesellschaft. Mit Geld aus dem Länderfinanzaus­gleich anderen Bundesländern Perso­nal abzuwerben, ist dagegen keine so gute Idee. Hausbesetzungen finden zunehmend Unterstützung in der Bevölkerung. Ein öffentlicher Mord in Neukölln erschüttert Berlin

Kampf
um den
Kiez

Mehr rechte Gewalttaten in Treptow-Köpenick

Die Zahlen, die das Register Treptow-Köpenick in dieser Woche meldete, sind erschreckend: Von Januar bis August 260 Vorfälle mit diskriminierendem oder extrem rechtem Hintergrund, darunter mehrere Dutzend gewalttätiger Übergriffe. Ob der dabei verzeichnete ungewöhnliche Anstieg der Fälle im August ein neuer Trend oder nur Zufall ist, lässt sich noch nicht sagen. Klar aber ist, dass vor allem Niederschöneweide ein Schwerpunkt für neonazistische Aktivitäten ist, ob nun Propagandadelikte, Pöbeleien oder Angriffe.

Die gute Nachricht ist das ebenfalls steigende Engagement von AnwohnerInnen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und LokalpolitikerInnen. Mit langem Atem kämpfen sie darum, dass ihr Kiez ein lebenswerter bleibt, dass die Fortschritte, die seit dem Ende der Nazikneipe „Henker“ gemacht wurden, nicht wieder zunichte gemacht werden. Dass die AfD ihnen dabei in der Bezirksverordnetenversammlung und im Abgeordnetenhaus das Leben schwer zu machen versucht, entmutigt sie nicht. Mit in Reden und Anfragen verpackten Verleumdungen wollen die Rechten etwa die Arbeit des Zentrums für Demokratie diskreditieren – gleichzeitig häufen sich auch die unmittelbaren Angriffe auf das Zentrum.

Der Zusammenhang ist offensichtlich. Die Wege zwischen verbalen und körperlichen Angriffen werden immer kürzer. Dabei ist es fast gleichgültig, ob zwischen den Hetzern und den Schlägern tatsächlich direkte Verbindungen bestehen. Die einen tun ihr Möglichstes, um ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das die anderen glauben lässt, sie könnten unbehelligt ihr Faustrecht durchsetzen.

Gut, dass es Organisationen wie die Register gibt, die auch den Grenzbereich zwischen Propaganda und offener Gewalt im Blick behalten. Gut ist auch, dass das Bündnis für Demokratie und Toleranz in Treptow und das Zentrum für Demokratie sich nicht einschüchtern lassen und als tief im Kiez verankerte Instanzen vor Ort zivilgesellschaftliches Selbstbewusstsein und Mut stärken. Denn die werden in Zukunft noch dringend gebraucht.

Daniél Kretschmar

Die Wege zwischen verbalen
und
körperlichen Angriffen werden
immer
kürzer

Daniél Kretschmarüber die Zunahme rechter Gewalttaten in Treptow-Köpenick

Nur ein Ausgleich ist das nicht

SPD will Spitzengehalt für öffentlichen Dienst

Er hat deutlich gewarnt, der Finanzsenator. Und zwar seine eigenen Parteifreunde in der SPD. Jene, die gegenwärtig vorpreschen mit der Forderung, den Beamten und Angestellten des Landes Berlin deutlich mehr zu zahlen. Nämlich nicht nur ab 2021 so viel, wie ihre Kollegen in anderen Bundesländern im Durchschnitt verdienen, was die rot-rot-grüne Koalition bisher fest verabredet hat. Sondern das, was Bundesministerien und sonstige -behörden zahlen, und das ist teils deutlich mehr.

Berlin, das mit 58 Milliarden höchstverschuldete und zugleich höchstsubventionierte Land der Republik, als Spitzenverdienstzahler? Der Finanzsenator sieht die anderen Länder schon aufschreien und die über 4 Milliarden Euro in Gefahr, die ebendiese Länder Berlin im Länderfinanzausgleich jährlich überweisen. „Wer das riskiert, riskiert viel“, hat er am Dienstag gesagt.

Und da hat er schlicht recht, der Matthias Kollatz. Der Länderfinanzausgleich fußt nämlich, verkürzt gesagt, auf dem Versprechen des Grundgesetzes, dass es in der Bundesrepublik Deutschland annähernd gleiche Lebensverhältnisse geben soll. Das Geld der reicheren Länder soll den ärmeren helfen, ihren Einwohnern Ähnliches bieten zu können, wie es anderswo üblich ist.

Ähnliches also, nicht mehr, wie nun bei der Bezahlung der Landesmitarbeiter gefordert. Andere Bundesländer, allen voran Bayern, haben sich schon sehr daran gestört, dass Berlin seine Kita beitragsfrei machte. Weil die Subventionsmilliarden des Länderfinanzausgleichs nicht an eine bestimmte Verwendung gebunden sind, könnte man es unter der Souveränität eines Bundeslandes verbuchen, eigene Schwerpunkte zu setzen und Arme und weniger Verdienende zu entlasten. Ganz schlecht ist anderen Ländern aber zu vermitteln, dass Berlin sich den Luxus gönnt, Gutverdienern und Reichen die Beiträge zu erlassen.

Und so ist es auch bei der Bezahlung der Landesmitarbeiter. Die anderen Länder schieben Geld rüber, mit dem Berlin höhere Gehälter zahlen und so Mitarbeiter anderer Ländern und Bundesbehörden in seinen Dienst locken kann? Logisch ist das nicht. Dummerweise stehen hinter dieser Idee offenbar führende Köpfe der SPD-Fraktion. Und so ist zu hoffen, dass dem Finanzsenator noch ein paar Leute zur Seite springen und wie er sagen, dass diese Idee nur eins ist: ziemlich absurd.

Stefan Alberti

Mehr Besetzen wagen

Es wird wieder besetzt – und das ist gut so

Fast wähnt man sich wieder in den 1980er oder ganz frühen 1990er Jahren – in Berlin wird besetzt. Nach dem Auftakt der offensiv geführten #besetzen-Kampagne zu Pfingsten folgten vor Wochenfrist erst die vorübergehende Besetzung des geplanten Google Campus in Kreuzberg und dann am Samstag die Aneignung mehrerer Wohnungen in einem Kreuzberger Wohnhaus.

Die Besetzung in dem überwiegend leerstehenden Haus an der Großbeerenstraße Ecke Obentrautstraße ist die erste seit längere Zeit, die nicht noch am selben Tag durch einen Polizeieinsatz beendet wurde. Nach Intervention beim Eigentümer erhielten die Aktivisten ein Zwischennutzungsrecht. In einer Wohnung dürfen sie nun bis zum 14. Oktober bleiben; Anfang nächsten Monats soll verhandelt werden.

Ein von Linken und Grünen angestrebtes Aufweichen der Berliner Linie, also der Maßgabe, jede Besetzung innerhalb von 24 Stunden zu räumen, ist das nicht. Die Polizei stand schon bereit, hätte der Eigentümer anders entscheiden. Dennoch ist es ein positives Signal, denn es zeigt: Der Rechtsstaat gerät nicht ins Schwimmen, wenn eine Besetzung erfolgreich bestehen bleibt. Die Überarbeitung der Berliner Linie dahin, nur noch dann zu räumen, wenn ein Eigentümer eine baldige Vermietung nachweisen kann, bleibt auf der Tagesordnung.

Was der aktuelle Fall zudem zeigt: Die Anfang Juni abgefragte positive Haltung der Mehrheit der BerlinerInnen zu Besetzungen hält auch in der Praxis an. Das Café gegenüber spendiert Kuchen und öffnet seine Toilette, die Eckkneipe gibt Geschirr und Toilettenpapier, alte Frauen bringen säckeweise Putzmittel, andere stecken 20- oder 50-Euro-Scheine zu. Die Solidarität der Nachbarn im Kiez ist deutlich sichtbar, besonders unter den Alteingesessenen.

Was sich dahinter verbirgt, ist nicht selten die Angst, selbst bald verdrängt zu werden, während gleichzeitig Wohnraum leersteht. Abstiegsängste, auch Wut auf die Politik kamen auf der Kiezversammlung vor dem Haus am Dienstag zum Ausdruck. Ähnliche Ängste versucht sich auch die AfD zunutze zu machen. Linke, die wieder vermehrt ganz praktisch die soziale Frage besetzen, auch mit radikalen Alternativen, sind daher notwendiger denn je.

Erik Peter

Eine öffentliche Hinrichtung

Neukölln: 36-Jähriger auf der Straße getötet

Offenbar war die Tat geplant: Drei Männer lauern am späten Sonntagnachmittag dem 36-jährigen Nidal R. auf, der in der Oderstraße am Rande des Tempelhofer Feldes mit seiner Familie unterwegs ist. Drumherum der um diese Zeit übliche Trubel: Kinder, Touristen, Menschen, die die Sonne genießen. Insgesamt acht Mal schießen die drei Männer auf R., drei Kugeln treffen ihn, eine den Eiswagen, der hier am Parkeingang steht. Dann fliehen die Männer über das Feld, rasen in einem Auto davon. Der Fluchtwagen wird später angezündet gefunden, er hatte in der Zwischenzeit ein anderes, ungültiges Kennzeichen.

So weit die ersten Ermittlungen der Polizei. Doch vieles bleibt nebulös. Daran hat auch die Polizei ihre Schuld; sie hält sich mit Informationen extrem bedeckt. Nicht einmal der Name des Opfers wird offiziell bestätigt, obgleich er in allen Medien genannt wird. Nidal R. ist Berlins bekanntester Intensivstraftäter; schon als Kind fiel er mit Straftaten auf.

Sicher ist hingegen: Eine Hinrichtung wie diese an einem belebten Ort, bei der unschuldige Opfer fast schon einkalkuliert sind, hat es in Berlin seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Es erinnert an jene Jahre in Neukölln nach dem Mauerfall, über die der Spiegel 1997 eine Geschichte schrieb, die von Verwahrlosung und Gewalt handelte und so begann: „In der Neuköllnischen Allee peitschen mehrere Schüsse über die belebte Straße. Wer kann, geht in Deckung. Einer bleibt auf dem Boden liegen.“

Wer Neukölln kannte, lächelte ein bisschen über die reißerische, angsteinflößende Spiegel-Prosa. Das Image des Bezirks hat sie trotzdem geprägt. Bis die Hipster kamen und eine Serie wie „4 Blocks“ über die Clans von Neukölln plötzlich nette Unterhaltung darstellte.

Nach dem Attentat vom Sonntag befürchtet die Polizei eine Eskalation der Gewalt zwischen kriminellen Mitgliedern arabischer Großfamilien. Es kursieren Gerüchte über tschetschenische Gangs, die die Lage anheizen würden. Und die Gewerkschaft der Polizei betont, dass Auseinandersetzungen gewalttätig und ohne Skrupel auf den Straßen ausgetragen würden. Das alles gibt zu denken: Was davon ist Polizeiprosa oder Alarmismus, was fundierte Analyse?

Die Gangster sind offensichtlich noch nicht ausschließlich zu Filmfiguren mutiert. Wenn Mitte Oktober die zweite „4 Blocks“-Staffel anläuft, könnte der vergangene Sonntag bereits zu einer Zäsur mit krassen Folgen für die Realität geworden sein. Bert Schulz