Keine Grenzen

Die südkoreanische Installationskünstlerin Haegue Yang bei der Triennale in Mailand

Von Lorina Speder

Wie zieht man Grenzen in einen Raum und löst diese gleichzeitig auf? Die koreanische Künstlerin Haegue Yang verwandelt drei Räume in der Triennale di Milano genau so, dass man manchmal nicht zwischen Sinnestäuschung und Realität unterscheiden kann. Überhaupt wird man in der Ausstellung durch Yangs reiches und unterschiedliches Œuvre geführt, in dem die Werke abstrakt nach Vermittlung und Grenzüberschreitung fragen. Immer wieder konfrontiert die in Berlin lebende Künstlerin die Besucher in Mailand mit vertrauten Gegenständen, die sie in unvertraute Umgebungen platziert.

Es beginnt gleich am Eingang. Man erkennt dünne, rote Linien aus Kohle, welche die Wand wie liniertes Papier aussehen lassen. Das Werk, das sich durch den Titel „Chalk Line Drawing, 81m2“ selbst erklärt, wird jedoch durch eine zuerst kaum wahrnehmbare Arbeit ergänzt. Yang zog rote Fäden durch den Raum, die eine Diagonale bilden und an die Wandarbeit grenzen. Dadurch verändern sich die optisch überkreuzenden Linien und Fäden mit jeder kleinen Positionsveränderung. Weil das Garn hauchdünn ist, haben die Museumswächterinnen viel zu tun, die Besucher darauf aufmerksam zu machen, damit sie nicht in das Kunstwerk laufen.

Das Spiel mit den Wahrnehmungen geht im nächsten Raum weiter. In der großen Installation „Citadella“ kreierte Yang mit 176 aufgestellten Jalousiewänden ein Labyrinth, das sich ständig durch den wechselnden Lichteinfall der sechs beweglichen Scheinwerfer verändert. Die Grenzen des Werkes sind deshalb fortlaufend in Bewegung. Yang wohnt schon lange nicht mehr in Korea, doch in ihren Arbeiten spielt die Überwindung von Grenzen immer eine Rolle. Nach ihrem Bachelor of Fine Arts an der Seoul National University 1994 verließ sie Südkorea, um an der Frankfurter Städelschule bei Georg Herold zu studieren. Auch in Deutschland, sagte sie in einem Interview, begleite sie die Trennung von Nord- und Südkorea wie ein Phantomschmerz – und das, obwohl sie 1971, also nach der Einrichtung der entmilitarisierten Zone, geboren wurde. Zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland war sie fasziniert von Baumärkten und verbrachte Stunden darin.

Ihre Leidenschaft, Dinge zusammenzufügen, die sich in dem Alltag nie begegnen würden, erkennt man auch in Mailand. Die „Sonic Dress Vehicles“ sind Gestelle auf kleinen Rollen, in denen teilweise weitere Jalousien eingebaut, aber auch Reihen aus goldenen und silbernen Glöckchen eingezogen wurden. Für Yang sind es performative Skulpturen, die den Raum mit Tanz füllen. Obwohl sich die Gestelle nicht bewegen, könne man die Last des Tänzers beim Herumschieben spüren. Auch hier überschreitet Yang wieder Grenzen. Die Objekte könnten als Architektur, Installation oder Skulptur, deren Sockel die Räder sind, gelten. Im Raum stehen die Räder still, doch die Wandbemalungen, die um gerahmte Bilder und Folien angereichert sind, erwecken das Gefühl der Bewegung. Die kaleidoskopähnlichen Formen paaren verschiedenste Naturphänomene wie Bilder eines Bienenstocks oder einen Kristallquerschnitt mit Abbildungen von LG-Kopfhörern und Roboterhänden.

Obwohl die Inhalte der Abbildungen in der Kombination ungewöhnlich sind, entsteht durch „Trustworthies“ im gesamten Raum durch die Anordnung eine riesige, in sich schlüssige Collage. Es ist, als ob Yang uns sagen wollte, dass es Trennungen nicht gebe. Sie zeigt in der Ausstellung, dass Dinge miteinander harmonieren können, die in unserer Fantasie kaum zusammengehören.

La Triennale di Milano, bis 4. 11. 2018