Immer neue Ideen – ohne Folgen

Spaniens Regierungschef ist nun mehr als 100 Tage im Amt. Aus vielen seiner Pläne wurde bisher nichts

Aus Madrid Reiner Wandler

Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez feiert seine ersten 100 Tage im Amt. Am Montag zog er bei einer Veranstaltung in Madrid eine „positive Bilanz“ – nachdem er den Morgen dazu genutzt hatte, neue spektakuläre Maßnahmen anzukündigen. Er wolle binnen 60 Tage die Verfassung reformieren, sagte der Sozialist, damit die 250.000 Personen in öffentlichen Ämtern, die nur bedingt von den Strafbehörden verfolgt werden dürfen, ihre juristischen Sonderrechte verlieren. Das „aforamiento“ sieht vor, dass sie nur vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt werden können. Dieser schützt Politiker und hohe Beamte immer wieder gegen Verfolgung, meist aus Gründen der Korruption.

Als „verunglückt“ bezeichnet vor allem die konservative Presse die ersten 100 Tage des Ministerpräsidenten, der im Juni per Misstrauensvotum an die Macht gekommen war. Sánchez vereinigte damals eine bunte Mehrheit von Sozialisten, der linksalternativen Podemos und Nationalisten aus dem Baskenland und Katalonien hinter sich. Seine sozialistische PSOE allerdings verfügt nur über 84 der 350 Abgeordneten.

In den bisher etwas mehr als drei Monaten der Regierung Sánchez verlor der Sozialist gleich zwei Minister. Der für Kultur musste gehen, weil seine fragwürdige Steuermoral für Schlagzeilen sorgte. Die Gesundheitsministerin hatte einen Mastertitel erhalten, ohne die nötigen Bedingungen erfüllt zu haben. Der Vorstoß vom Montag und die kurz zuvor versprochene Steuererhöhung für Reiche sollen solche Geschichten vergessen machen.

Sánchez erweist sich damit einmal mehr als Spezialist für politisches Marketing. Er will die Zeit bis zum Ende der Legislatur nutzen, um in der Wählergunst vom historischen Tief seiner Partei PSOE im Jahr 2016 zum Sieger aufzusteigen. Dazu gibt er sich fortschrittlich und staatsmännisch zugleich, um die Wähler zurückzuholen, die zu der linksalternativen Podemos oder zu den rechtsliberalen Ciudadanos abgewandert sind.

So sorgt Sánchez ständig mit neuen Ideen für Schlagzeilen. Noch vor der Sommerpause versprach er etwa, dass die sterblichen Überreste des einstigen Diktators Francisco Franco aus der Kathedrale im „Tal der Gefallenen“ entfernt werden sollen. Einfacher gesagt als getan: Zwar erhielt Sánchez dafür im Parlament die Mehrheit, doch Familie und Kirche stellen sich quer.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen nahm Sánchez die Flüchtlinge des Rettungsschiffs „Aquarius“ auf und ließ sich europaweit für seine Solidarität feiern. Nach einem Sommertreffen mit der deutschen Kanzlerin Merkel allerdings ließ er 116 Flüchtlinge am Grenzzaun von Ceuta direkt wieder abschieben, obwohl dieses Vorgehen wohl nicht mit EU-Recht vereinbar ist.

Und der Dialog mit der nach Unabhängigkeit strebenden Regierung Kataloniens? Kommt auch nicht so recht in Schwung.

Egal, was Sánchez unternimmt, viel Geld darf es nicht kosten – denn er hat keinen eigenen Haushalt. Er verwaltet den von seinem konservativen Vorgänger Mariano Rajoy geerbten Sparhaushalt. Im Herbst will Sánchez die Kasse der Regierung neu strukturieren, doch auch hier fehlt ihm bisher eine Parlamentsmehrheit.

Für die jetzt versprochene Verfassungsreform braucht Sánchez eine Zwei-Drittel-Mehrheit (234 Abgeordnete). Das geht nur mit der konservativen Partido Popular, und die verweigert sich. Doch auch die baskischen Nationalisten und Podemos, die Sánchez im Juni an die Macht verhalfen, machen es ihm nicht leicht: Ihnen geht der Vorschlag nicht weit genug. Unter anderem wollen sie, dass der bisher als völlig immun geltende König künftig strafrechtlich belangt werden kann. Doch diese Idee geht dem Sozialisten ein ganzes Stück zu weit.