Dokumente zu Sprache

Eine Retrospektive im Zeughauskino begleitet die Eröffnung des Archivs von Regisseur Peter Voigt in der Akademie der Künste

„Stein schleift Schere / Knabenjahre“, DDR 1986, R: Peter Voigt Foto: Foto:DEFA-Stiftung: Christian Lehmann

Von Fabian Tietke

Die Uferböschung eines kleinen Flusses an einem regnerischen Tag. Im unteren Drittel des Bildes spiegelt sich der verhangene Himmel im Wasser, oben sieht man das Grün des Grases über den gelblichen Halmen. Dazu der Kommentar: „Und so soll Dirk Boonstra ausgesehen haben: Ein dunkelhaariger, dunkeläugiger Mann. Er war etwa zwei Meter groß, Schuhgröße 47. Er hatte eine schwere Stimme. Und immer in Uniform.“

Die Beschreibung bezieht sich auf Dirk Boonstra, einen niederländischen Dorfpolizisten, der sich im März 1943 geweigert hat, die Juden seines Dorfes im Auftrag der deutschen Besatzer auszuliefern. 1988 wurde Boonstra von der Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern anerkannt. Während die Kommentarstimme fortfährt, Boonstra zu beschreiben, treibt ein Grasbüschel von der Mitte des Bildes nach links. Regisseur Peter Voigt setzt in seinem Film „Wofür starb Dirk Boonstra“ von 1990 darauf, dass in den Köpfen der Zuschauer ein Bild entsteht. Erst später zeigt er ein Foto Boonstras.

Für Voigt ist es wichtiger, ein Bild von der gezeigten Person zu bekommen als auf ein abgefilmtes Bild zu starren. Sechs Filme Voigts hat der Filmhistoriker Günter Agde für eine Retrospektive im Zeughauskino ausgewählt, die die Eröffnung des Archivs von Peter Voigt in der Akademie der Künste begleitet. Parallel erscheint überdies ein Band mit Texten von und zu Voigt im Verlag Neues Leben.

Im ältesten Film der Reihe, „Martha Lehmann“ von 1972, rekonstruiert Voigt aus kurzen Notizen einer Schrankenwärterin ein Leben im Wandel der Zeit. Eine Wand voller Zettel transformiert Voigt in eine skizzenhafte Chronologie zwischen Alltag und Politik: Martha Lehmanns Sohn stirbt im Zweiten Weltkrieg, sie selbst erlebt den Aufbau der DDR, entdeckt die Solidaritätsbewegungen für sich und arbeitet bis an ihr Lebensende.

Voigt pflegt seine Gabe, Dokumente zum Sprechen zu bringen, seit Ende der 1950er Jahre. Nach fünf Jahren als Bühnenbildner an Brechts Berliner Ensemble wechselt Voigt ins DEFA-Studio für Trickfilme nach Dresden, dann zum Fernsehen der DDR, schließlich ins Studio von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann.

Voigt sagte rückblickend: „Wenn ein besonderer Einsatz von Fotos und Bildern gefordert wurde, dann holte man mich, weil man wußte, daß ich das kann.“ Während er in den Filmen von Heynowski/Scheumann vorrangig für seine Fähigkeiten in der Montage von unbewegten Bildern gefragt ist – 1967 schreibt Voigt einen Aufsatz „Über die Verwendung von statischem Material“ – arbeiten seine eigenen Bilder nur sehr reduziert mit solchen Elementen. Voigts Stärke ist vielmehr die collagehafte Kombination mehrerer Ebenen von bewegten Bildern und Tonebenen.

Auch nach dem Ende der DDR und der Abwickelung der DEFA konnte Voigt weiter arbeiten. In „Der Ort, die Zeit, der Tod“ von 1994 kombiniert Voigt Aufnahmen aus der Umgebung des Tollense-Sees in Mecklenburg-Vorpommern mit mehreren Kommentarebenen: Naturbeobachtungen und historische Anmerkungen durchdringen einander. Im Zentrum steht Fünfeichen, ehemals Stadtgut am Stadtrand von Neubrandenburg, heute Stadtteil, ehemals Truppenübungsplatz, dann Standort eines Strafgefangenenlagers und der Forschung an biologischen Kampfstoffen im Nationalsozialismus, dann eines NKWD-Speziallagers.

Nicht unähnlich Philipp Scheffners „Halfmoon Files“ von 2007 über ein Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg bringt Voigt einen Ort, an dem es nur wenige sichtbare Spuren der Vergangenheit gibt, zum Sprechen. 1989 arbeitete Voigt, geboren 1933, im Gespräch mit einigen Männern seiner Generation zu ihrer Erziehung im Nationalsozialismus und verdichtet die Themen dieser Gespräche durch Texteinblendungen.

Diese Methode, zentrale Stellen mündlicher Aussagen im Bild zu verfestigen, verwendet Voigt auch in „Ich bin Ernst Busch“ von 2000. Voigt nutzt Notizen von Busch aus dessen Nachlass, um die Heroisierung Buschs zu DDR-Zeiten zurechtzurücken. „Ich bin Ernst Busch“ lässt das Leben eines zentralen Künstlers der deutschen Linken des 20. Jahrhunderts Revue passieren und arbeitet politische Entscheidungen, Kompromisse und Konflikte offen heraus.

Weil Peter Voigt Peter Voigt ist, passiert all dies ohne marktschreierische Effekte, sondern in kluger Balance der Elemente der filmischen Elemente: Die Bilder sind unterlegt mit Aufnahmen des Pergamonaltars, die Kamera gleitet über dessen Oberfläche und Furchen, fährt Steinspalten entlang oder über sie hinweg und bringt die Bilder des Altars in einen stummen Dialog mit den übrigen Aufnahmen des Films, die sich ihrerseits eher dialogisch zur Tonspur verhalten als dass die eine Ebene eine Illustration der anderen wäre.

Der Außenseiter. Dokumentarfilme von Peter Voigt: Zeughauskino, 26. – 28. 9.

Peter Voigt: Filmarbeit. Skizzen, Kritiken, Essays, Interviews, herausgegeben von Günter Agde, Neues Leben, 208 Seiten, 14,99 €