Wachleute in der Hamburger Jugendhilfe: Nachts wacht die Security

Im Nebenhaus des Jugendnotdienstes in Alsterdorf findet eine sogenannte Einzelbetreuung statt. Das heißt: Securitys bewachen die Kinder. Teilweise über 667 Tage.

Ein Flachbau hinter Gitterstäben.

Hier findet „Einzelbetreuung“ statt: Unterkunft in der Feuerbergstraße Foto: dpa

HAMBURG taz | Die Praxis ist äußerst umstritten: Dass Jugendliche in Hilfseinrichtungen von Security-Mitarbeitern bewacht werden, statt von geschulten Fachkräften. Der Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) in Hamburg-Alsterdorf, eine Anlaufstelle für Kinder in Krisensituationen mit 40 stationären Plätzen, hat aber drei Security-Kräfte an Bord. Der Grund dafür sei die Einzelbetreuung, sagte der Chef des zuständigen Landesbetrieb Erziehung, Klaus Dieter-Müller, der taz im Juni. Es komme vor, dass junge Menschen separat betreut werden und der Sicherheitsdienst aufpasst, „wenn die Pädagogen mal Pause machen“.

Der Einsatz von Wachleuten in der Jugendhilfe gilt seit dem Eklat um die geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße am gleichen Ort im Jahr 2004 als heikel. Man hatte die Betreuung eines Zwölfjährigen über 23 Tage fast nur der Security überlassen. „Es ist ein Wunder geschehen. Es war ein Betreuer anwesend“, schrieb ein Wachmann ins Dienstbuch.

Die Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke) hat jetzt nachgefragt. „Warum gibt es keine Dienstplanung für Sozialpädagoginnen unter Einberechnung der Pausen?“, wollte sie in einer Senatsanfrage wissen. In der Antwort rudert der Senat zurück und beteuert, in Hamburg würden Jugendliche unter 16 Jahren „rund um die Uhr“ pädagogisch betreut. „Dies gilt ebenso in Pausenzeiten.“

Dennoch soll die Security wachen. In der Schlafenszeit erfolge die Aufsicht durch den Sicherheitsdienst. Denn nachts schlafe die pädagogische Kraft und werde „bei Bedarf durch den Sicherheitsdienst aktiviert“. In normalen Jugendwohnungen reicht ein Betreuer.

Hamburg: KJND-Unterbringungshilfe mit 36 Plätzen, ein Mädchenhaus mit 10 Plätzen. Drei Security-Mitarbeiter.

Bremen: Der Jugendnotdienst vermittelt gleich in Einrichtungen. Keine externe Security.

Berlin: Der Jugendnotdienst hat rund 40 Plätze für Kinder, Jugendliche, junge Obdachlose. Keine Security, aber technische Vorkehrungen, kann schnell die Polizei alarmieren.

Die Anfrage ergab auch: Die Einzelbetreuung in Alsterdorf findet in einem Nebenhaus des Gebäudes B statt, das früher das geschlossene Heim beherbergte. Von 2009 bis heute wurden 16 junge Menschen zwischen zehn und 17 Jahren so betreut. In fünf Fällen zog sich der Aufenthalt gar zwischen einem halben Tag und 667 Tagen. Für alle 16 Jugendlichen gab es 132 Vorkommnismeldungen, je länger der Aufenthalt, desto öfter.

Alle 16 Fälle seien „sehr unterschiedlich und von speziellen Problemlagen“, erklärt der Sprecher der Sozialbehörde Marcel Schweitzer. Alle zeigten „eigen- und/oder fremdgefährdendes Verhalten“. Es handele sich nicht um eine geschlossenen Unterbringung.

Auf die Frage nach der Freizügigkeit antwortet der Behördensprecher, die Pädagogen machten Spaziergänge und Ausflüge mit den jungen Menschen. Je nach Einzelfall hätten sie aber auch dafür zu sorgen, „dass die Einrichtung nicht verlassen wird“. Dazu gehöre auch „das Setzen physischer Grenzen“. Dies könnte Aufgabe der Security sein, zum Beispiel nachts, „wenn die pädagogische Fachkraft mal auf Toilette geht“.

Der früheren Leiterin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes, Charlotte Köttgen, dauert die Einzelbetreuung in vielen Fällen viel zu lange. „Der KJND ist nur eine Notfalleinrichtung“, sagt sie. „Auch für schwierige Fälle muss man eine richtige Unterbringung finden.“ Dafür müsste spätestens nach vier Wochen ein „Hilfeplangespräch“ stattfinden.

„Beim KJND landet kein Kind, das nicht unter schweren körperlichen oder psychotraumatischen Erfahrungen gelitten hat“, sagt Köttgen. Gerade nachts könnten die Kinder unter Flashback-Erinnerungen leiden. Deshalb seien Fachkräfte sehr wichtig. „Wird der Schwerpunkt aber auf die Abwehr von Gewalt gelegt, kann es zu vermeidbaren aggressiven Interaktionen kommen, wie 2006 in der Feuerbergstraße.“

Das sieht Boeddinghaus genauso. „Der Schutz vor Eigen- und Fremdgefährdung ist pädagogische Arbeit“. Security sei fehl am Platz. Die Abgeordnete überlegt, eine Begehung der Unterkunft zu beantragen.

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