Einer dieser Typen aus Detroit

Die dritte Ausgabe des in Berlin erscheinenden Technomagazins Borshch hat einen prominenten Gastredakteur: Jeff Mills thematisiert den Rassismus, den es auch in der Berliner Szene gibt

Aktuelle Ausgabe Foto: Borshch

Von Andreas Hartmann

Borshch – so wie die berühmte osteuropäische Rote-Bete-Suppe nennt sich auch eine Zeitschrift aus Berlin. Der Name ist insofern ungewöhnlich, als es sich hier nicht etwa um ein Magazin aus dem Bereich der Kulinarik handelt, sondern um eines, das sich der elektronischen Musik verschrieben hat. Eben ist die dritte Ausgabe erschienen, und die ist, man kann es nicht anders sagen, ein echter Knaller.

Die aus der Ukraine nach Berlin gezogene Mariana Berezovska, die gemeinsam mit dem Art Director Tiago Biscaia aus Portugal das Magazin herausgibt, das zweimal im Jahr erscheint, hat dafür nämlich einen ziemlich namhaften Gastredakteur gewinnen können. Jeff Mills, einer der Urväter des Detroit-Technos, einer der wahren Pioniere der elektronischen Tanzmusik, ist nicht nur Cover-Star, sondern hat die Ausgabe auch maßgeblich mitbetreut.

Für eine unabhängige Zeitschrift, mehr Fanzine als marktstrategisch aufbereitetes Print-Produkt – noch nicht einmal über ein eigenes Büro verfügt man hier –, ist das ein echter Coup. Die Auflage des Magazins, das weltweit vertrieben wird, auch in den USA, Mexiko, Kanada und Japan, beträgt 1.000 Stück, mehr als eine winzige Nische erreicht man damit also nicht. Und dennoch konnte sich eine Berühmtheit der Techno-Szene wie Jeff Mills für das Projekt begeistern.

Die Verbindung zu den Zeitschriftenmachern ging sogar von seiner Seite aus, berichtet Mariana Berezovska in einem Kreuzberger Café. Dessen Managerin habe sie angerufen und einfach mal wissen wollen, was Borshch denn genau sei. Man blieb im Kontakt und kam so auf die Idee für eine Zusammenarbeit mit dem Star-DJ.

Der Urvater des Detroit-Techno: Jeff Mills Foto: Foto George Nebieridze

Herausgekommen ist dabei die konkrete Annäherung an einen Musiker, dessen Philosophie und Lebensanschauung, und gleichzeitig ein Themenheft über die Zukunft von Techno und der Welt an sich. Afrofuturismus, Science-Fiction, technologischer Fortschritt, all die Themen, um die das Werk von Mills seit nunmehr drei Dekaden kreist, werden in unterschiedlichen Essays und schließlich in einem langen Gespräch mit dem Meister selbst umkreist. 15 Euro muss man für die Hommage an den Techno-Visionär hinlegen, dafür bekommt man aber auch eine wunderbar aufgemachte Zeitschrift, die viel zu schön ist, um sie nach dem Lesen auf den Stapel mit dem Altpapier zu werfen.

Es geht in dieser um Musik, aber auch um so viel mehr. Wegbegleiter und Kollaborateure von Mills aus den unterschiedlichsten künstlerischen Disziplinen werden etwa vorgestellt, die französische Filmemacherin Jacqueline Caux, die Detroiter Poetin Jessica Care Moore und der japanische Film- und Theaterregisseur Akaji Maro. Techno kann so viel mehr sein als bloß Bumbum, bekommt man so nahegelegt, eine These, die Mills auch mehrfach mit eigenen Worten bekräftigt. Und selbst im Gespräch mit DJ Dana Rush erzählt diese irgendwann weniger vom Auflegen als von ihrer Faszination für Astrophysik und Schwarze Löcher.

Der absolute Höhepunkt ist jedoch das mit großer Ausdauer geführte seitenlange Gespräch mit Jeff Mills selbst. Der erklärt, welche unentdeckten Potenziale in der elektronischen Musik immer noch schlummerten. Dass er sich wünsche, die Musik würde sich noch mehr mit Mode, Design, Architektur, Tanz oder Oper vernetzen, um selbst wieder innovativer zu sein. Er fordert neue Visionen für seine Szene, den Blick weit über den Dancefloor hinaus zu weiten und letztendlich eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit einer Kunstform, die so viel mehr sein könne als der Sound für die nächste wilde Party am Wochenende.

Die Herausgeberin: Mariana Berezovska Foto: George Nebieridze

Regelrecht spektakulär wird das Interview an den Stellen, in denen es um Berlin geht, wo Mills immerhin zehn Jahre lang gelebt hat, bevor er nach Paris gezogen ist. „In Berlin wurde ich als als ‚einer dieser schwarzen Typen aus Detroit‘ angesehen“, sagt er, „in Frankreich und überall sonst auf der Welt dagegen bin ich bekannt als ‚Jeff Mills‘.“ Und dann berichtet er davon, dass er seine schlimmsten Erfahrungen mit Rassismus außerhalb der USA ausgerechnet in Berlin gemacht habe. Also in der Stadt, die sich so viel darauf einbildet, Musiker aus aller Welt mit weit offenen Armen zu empfangen.

Auch innerhalb der Techno- und Clubszene sei er rassistisch angegangen worden, berichtet er. Hier habe man ihn mit dem N-Wort beschimpft, hier sei ihm mitgeteilt worden, den Plattenladen zu verlassen, um die weißen Kunden nicht zu stören, hier sei ihm der Eintritt in Clubs verweigert worden. Was Mills da erzählt, ist wahrlich verstörend. Andere afroamerikanische Musiker, so glaubt er auch, hätten sich bislang nur noch nicht getraut, ihre negativen Erfahrungen in Berlin öffentlich zu machen.

Hat die Berliner Techno-und Clubszene also ein Rassismusproblem? Den Worten von Jeff Mills nach zu urteilen, Schwarz auf Weiß in Borshch nach zu lesen, scheint das der Fall zu sein.

www.borshchmagazine.com