Der Kirche fehlen viele Fakten

Die bundesweite Studie zu Missbrauch in der katholischen Kirche bringt nur wenige Zahlen zum Berliner Bistum: 51 Beschuldigte, von denen noch 23 leben

Von Stefan Alberti

Das Berliner Erzbistum hat eine nachhaltige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche versprochen. „Das schließt auch ein, unsere Strukturen und Rahmenbedingungen zu überprüfen und infrage zu stellen, inwieweit sie Missbrauch begünstigt oder ermöglicht haben“, äußerte sich Erzbischof Heiner Koch am Dienstag. Das Erzbistum geht aber nicht so weit wie vor einer Woche der Passauer Bischof, der sich offen für eine Diskussion über die Abschaffung des Zölibats zeigte. Jetzt zu sagen: Weg mit dem Zölibat, dann gibt es auch keinen sexuellen Missbrauch mehr, „das wäre mir zu kurz gesprungen“, sagte Kochs Stellvertreter Manfred Kollig, als Generalvikar der Verwaltungschef des Erzbistums.

Es ist eine merkwürdige Situation bei der Pressekonferenz am Dienstagnachmittag im Kathedralforum, dem Sitz der Kirchenleitung neben der Hedwigskathedrale. Erzbischof Koch selbst ist nämlich nicht da, sondern in Fulda. Dort stellen in eben jenem Moment Wissenschaftler den deutschen Bischöfen ihre von den Bistums­chefs in Auftrag gegebene Studie vor über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs und wie die Kirche damit umgegangen ist.

Der Studienleiter sagt dort, live übertragen in das Kathedralforum: Sowohl der Umfang als auch der Umgang der Kirchenverantwortlichen mit den Taten hätten ihn erschüttert. Viele Zahlen und Einschätzungen stellt er vor, und die Erwartungshaltung für die Pressekonferenz ist nun klar: regional runtergebrochene Zahlen für das hiesige Erzbistum, das auch große Teile Brandenburgs und Vorpommern umfasst.

Doch Generalvikar Kollig fasst vor den Journalisten eingangs nur einen Brief Kochs zusammen, der kurz darauf ohnehin online steht. Die einzige konkrete Aussage zu Tätern darin: Eine bis 1946 zurück gehende Durchsicht von 1.401 Personalakten von Priestern und Diakonen – geweihte Theologen, die nicht dem Zölibat unterliegen – hat demnach 51 beschuldigte Personen ergeben, von denen 28 inzwischen gestorben seien.

Weitere bistumsbezogene Zahlen soll die Studie nicht enthalten – das sei auch nicht ihr Auftrag gewesen, heißt es, lasse sich aber nacharbeiten. Was die noch lebenden 23 Beschuldigten derzeit machen und was gegen sie unternommen wurde oder wird, lässt der Generalvikar offen. Allgemeiner sagte er: „Die Suspendierungen [von Beschuldigten, d. taz] halten sich im einstelligen Prozent-Bereich.“

In seinem offenen Brief verspricht Erzbischof Koch weitere Aufarbeitung: „Wir werden eine externe Prüfung unserer Personalakten und eine weitere juristische Aufarbeitung durchführen.“ Weder ausschließen noch mangels konkreter Anhaltspunkte bestätigen mochte Kollig, dass im Erzbistum wie anderswo belastende Personalunterlagen verschwanden.

Das Erzbistum verweist auf seine 2013 begonnene Vorgehensweise, jede bekannt werdende Beschuldigung der Staatsanwaltschaft zu melden. 77 Opfer hätten sich seither an das Bistum gewandt, mit Vorfällen, die teils Jahrzehnte zurückreichen. Auf Nachfrage konkretisierte Sprecher Stefan Förner, dass „melden“ nur die Weitergabe der Informationen und keine Strafanzeige durch das Bistum bedeutet. Welche Folgen diese Meldungen hatten, blieb trotz Nachfrage offen.

Generalvikar Kollig rief alle Missbrauchsopfer auf, sich zu melden und sich damit nicht auf die kirchlichen Anlaufstellen wie die Präventionsbeauftragte des Erzbistums zu beschränken. „Wir können für niemanden die Hand ins Feuer legen, aber wir müssen aufmerksamer hinschauen“, sagte Kollig zum künftigen Vorgehen. „Wir müssen einer Beobachtung in jedem Fall nachgehen – dann wäre schon ganz viel gewonnen.“