Prozess gegen
KZ-Wachmann

Verfahren gegen 94-Jährigen in Münster: Anklage wirft ihm Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof vor

Von Klaus Hillenbrand

Zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren wird in Deutschland wieder ein mutmaßlicher Nazi-Verbrecher vor Gericht gestellt. Das Landgericht Münster hat die Anklage gegen einen 94-Jährigen aus dem Landkreis Borken zugelassen. Das gab das Gericht am Freitag bekannt. Johann R. soll im KZ Stutthof bei Danzig als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns Beihilfe zu Morden begangen haben. Der Prozess soll am 6. November beginnen. Das Verfahren findet vor einer Jugendkammer statt, weil der Rentner zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Taten noch nicht volljährig war.

Wegen seines Gesundheitszustands gilt R. nur als eingeschränkt verhandlungsfähig. Deshalb sind höchstens zweistündige Verhandlungstage vorgesehen. Ein paralleles Verfahren gegen Paul S. aus Wuppertal, der auch in Stutthof eingesetzt war, wurde abgetrennt. Ob es zu einem Prozess gegen diesen 93-Jährigen kommen wird, ist unklar, da zunächst weitere Gutachten über seine Verhandlungsfähigkeit eingeholt werden müssen. S. soll unter Schwerhörigkeit leiden.

Der Prozess gegen R. wäre das dritte NS-Verfahren seit der Verurteilung von John Demjanjuk 2009. Wegen seiner Hilfstätigkeit für die SS im Vernichtungslager Sobibor wurde der gebürtige Ukrainer zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die folgenden Prozesse wie auch der anstehende in Münster fußen auf diesem Verfahren, bei dem erstmals festgestellt wurde, dass allein die Tätigkeit in einem KZ zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord ausreichen kann. Ein individueller Mordvorwurf sei nicht notwendig.

R. kam in seiner Heimat Rumänien zur Waffen-SS. Er war der Anklage zufolge von Juni 1942 bis September 1944 im KZ Stutthof eingesetzt. 1943 wurde er zum SS-Sturmmann befördert. Die Wachmänner in Stutthof taten Dienst auf den Wachtürmen und bewachten Arbeitskommandos. Im Einsatzzeitraum des Angeklagten kam es in Stutthof zu mehreren hundert Morden in Gaskammern. Zudem wurden mehrere hundert Juden durch Genickschüsse ermordet und weitere mit einer Giftspritze umgebracht. Die Häftlinge erhielten so wenig zu essen, dass viele verhungerten. Die SS-Männer hätten daher, so der Vorwurf, auch Tötungen durch diese furchtbaren Lebensumstände in Kauf genommen. Insgesamt wurden in Stutthof etwa 40.000 Menschen ermordet.

R. wird vorgeworfen, von diesen Tötungen gewusst zu haben und diese durch seine Tätigkeit gefördert zu haben. Der Angeklagte hat zugegeben, in Stutthof gewesen zu sein. Er bestreitet, sich an Morden beteiligt zu haben. R. wurde von seiner Vergangenheit durch Ermittlungen der Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg eingeholt. Durch Abgleiche von SS-Personallisten mit aktuellen Meldedaten ermittelten die dortigen Beamten in den letzten Jahren Dutzende noch lebende mutmaßliche NS-Verbrecher. In den meisten Fällen scheiterte ein Prozess aber an Verhandlungsunfähigkeit.