das ding, das kommt
: Hut auf zum Gebet

Metall nur zwischen 0,004 und 0,02 Millimeter dick – und soll doch das Hirn schützen vor Strahlen und Manipulation: Der Aluhut ist die vielleicht wichtigste Requisite im Kampf um Verschwörungstheorie und Deutungshoheit Foto: Rory112233/Wikimedia Commons

Wer von dieser Zeitung hier spricht, gerade auch von ihren Anfängen – und das passiert in diesen Tagen ja wieder häufiger –, der muss beinahe beim Aluhut landen. Ist nicht böse gemeint. Aber es gibt eine Verwandtschaft zwischen dem Selbstverständnis, durchs Veröffentlichen ansonsten unterbleibender Nachrichten einen wichtigen Dienst zu leisten, und der Bereitschaft anzunehmen: Etwas, von dem niemand spricht – das kann doch nur gezielt unterdrückt worden sein.

Diese Bereitschaft aber, hinter jedem Geschehen Absicht vorauszusetzen; planvolles Handeln anzunehmen, nicht bloß das Ergebnis widerstreitender Kräfte, das Handeln obendrein einer höheren Macht, eines geheimen Zirkels, einer nicht legitimierten eigentlichen Regierung: Das ist das Denken, das wir uns „Verschwörungstheorie“ zu nennen angewöhnt haben, obwohl’s echte Theorie auch nur selten ist; auf einer Hamburger Veranstaltung zum „Antisemitismus in den Medien“ sprach die Berliner Wissenschaftlerin Juliane Wetzel neulich erst wieder von „Verschwörungsfantasien“.

Womit wir bei einem zentralen Problem sind: Wer einem anderen attestiert, dieser andere sei Verschwörungstheoretiker, der hat ja bereits entschieden, dass nichts dran ist an dem, was der andere sagt oder denkt. Neutral ist die Vokabel nicht zu haben, sie regelt vielmehr die Teilnahme an der Debatte: Darfst du mit an den Tisch, an dem die Großen diskutieren – oder wurzelt die Art, wie du es siehst, allzu weit außerhalb des Gängigen? Die rhetorische Steigerung des so zum Anwurf werdenden „Sie Verschwörungstheoretiker!“ ist dann übrigens der „Aluhutträger“, geschuldet jener höchstwahrscheinlich völlig nutzlosen Eigenbau-Kopfbedeckung wider manipulierende Strahlen oder auch das Gedankenlesen.

Soziale Filterblasen und Kontroversen schürende Algorithmen sind ihm zuträglich, aber der Glaube an Verschwörungen ist weiß Gott kein Kind der heutigen Medienlandschaft. Der Antisemit etwa braucht das Gerücht über deren angebliche Umtriebe schon immer mindestens so sehr, wie er Juden um sich hat. Und als US-Präsident John F. Kennedy erschossen wurde, gab es weder Facebook noch 4chan.

Der Tübinger Amerikanist Michael Butter brachte im Gespräch mit der taz – gestützt auf den Philosophen Karl Popper – die Säkularisierung ins Spiel: Da sei mit Gott die „Instanz, die alle Fäden in der Hand hält“, abhanden gekommen: „Zugleich aber waren die Menschen noch nicht bereit, zu akzeptieren, dass komplexe Gesellschaften Dinge hervorbringen, die niemand so geplant hat. Irgendjemand muss das lenken, an die Stelle von Gott treten dann die Verschwörer.“ Dass es Parallelen gibt zu anderem Glauben, ja: zur Religion, aber auch Unterschiede: Darauf wiesen dieser Tage erst Christian Schiffer und Christian Alt hin, Verfasser von „Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien“ (Hanser-Verlag, 288 S., 18 Euro).

Butter hat über Verschwörungstheorien in Deutschland und den USA geforscht. Im heutigen Zusammentreffen von „Verschwörungspanik in manchen Teilöffentlichkeiten, Verschwörungstheoriepanik in anderen“, erkennt er immerhin „eine tiefer liegende Krise demokratischer Gesellschaften“. Aber er warnt zugleich vor jeder Panik: „Auf die pauschale Frage, ob Verschwörungstheorien gefährlich sind, kann es keine Antwort geben.“ Alexander Diehl

Michael Butter: „Nichts ist, wie es scheint – Über Verschwörungstheorien“, Suhrkamp 2018, 271 S., 18 Euro

Lesung und Gespräch (Moderation Cara Salto): Mo, 1. 10., 20 Uhr, Hannover, Leibniz-Universität, Conti-Foyer, Königsworther Platz 1